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Montag, 16. Januar 2012

(20) Scheidung die Zweite


Donnerstag, 9.8.2009


Die Tage gingen ins Land, Jaspers Scheidung näherte sich in Riesenschritten, und ebenso diese beschissene Hochzeit, die langsam aber sicher ein nervliches Wrack aus mir machte. Es war, als ob eine unheilbare Krankheit an mir zehren, mir das Leben aus meinem Körper saugen würde. Ich fühlte mich von Tag zu Tag schlechter, was vermutlich auch daran lag, dass ich Isabella schon seit Tagen nicht mehr gesehen hatte.

Seit diesem viel zu brutalen Fick während der BellaRose-Party in meinem Büro waren wir uns genau ein Mal zufällig begegnet, und zwar gestern - für wenige Sekunden im Büro von Jake. Ich sah sie beim Vorbeigehen durch die offene Tür, und sie war so wunderschön, dass ich ihr am liebsten um den Hals gefallen wäre, um sie nie wieder loszulassen, aber scheinbar wollte sie das nicht. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte sie mich traurig an und verließ fluchtartig den Raum, lief über den Gang und verschwand Richtung Treppenhaus.

Ich beobachtete ihre Flucht mit weit aufgerissenen Augen und einem widerlichen Schmerz in der Herzgegend, war aber dennoch nicht in der Lage, ihr zu folgen. Nein, verdammt, ich konnte nicht. Wäre sie auch nur einen Millimeter auf mich zugegangen, hätte ich sie umarmt und bewusstlos geküsst, aber sie lief vor mir davon. Dieses seltsame Verhalten fühlte sich so grausam an. Es war, als würde sie nicht nur aus Jakes Büro und dem Gang verschwinden, sondern auch aus meinem Leben.

Ja, verdammte Scheiße, in jeder Sekunde, die ich ohne sie verbrachte, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass Isabella in meinem Leben ohnehin nichts verloren hatte, denn SIE war nicht MEIN und würde es auch niemals sein.

„Hey, Bro. Lust, essen zu gehen?“. Wie durch einen dichten Nebel, der es vermochte, sämtliche Sinne lahmzulegen, drangen diese Worte an mein Ohr. Langsam und träge hob ich meinen Kopf, rieb mir einmal grob über das Gesicht und lehnte mich in meinen Ledersessel zurück. Ich verbrachte jeden Tag an die zwölf Stunden im Büro, arbeitete, telefonierte und mailte mir die Seele aus dem Leib, nur um zu vergessen, doch Hunger – sowas gab es nicht mehr.

„Nein danke, Jazz. Ruf Alice an und geh mit ihr, ich weiß, dass du das willst“. Ich quälte mir ein Grinsen aufs Gesicht und bemerkte sofort, wie weich Jaspers Gesichtszüge wurden. Er war wahnsinnig verliebt in seinen kleinen Wirbelwind, obwohl heftige Knutschereien das einzige waren, was zwischen den beiden lief. Jessica hatte während der Party absolut nichts geschnallt, da sie erstens selbst mit Sam beschäftigt war und zweitens Alice in ihrer Funktion als Firmenanwältin eingeladen wurde. Alles lief sozusagen perfekt, nur mein Leben war die pure Scheiße, die zum Himmel stank.

Jasper seufzte tief, schüttelte den Kopf und schloss die Tür hinter sich. Langsam kam er auf mich zu, holte einen Stuhl vom Besprechungstisch, stellte ihn neben mich hin und nahm Platz.

„Edward“, sagte er leise und legte seine rechte Hand auf meinen Arm, der kraftlos auf diversen Papieren lag. „Du kannst so nicht weitermachen. Sieh dich doch an, du bist nur noch ein Schatten deiner Selbst, bitte hör auf mit diesem Scheiß. Alles, was du in den letzten Tagen getan hast, war arbeiten, arbeiten und noch mal arbeiten. Für die Firma verdammt gut, für dich verflucht schlecht. Ich weiß, warum es dir so beschissen geht, und glaub mir, ich würde mir den Arsch aufreißen, wenn ich dir damit helfen könnte, aber Herrgott nochmal…“, er seufzte tief und senkte seinen Blick, „… das kann ich nicht“.

„Hey, das musst du auch nicht. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn deinem Arsch etwas zustoßen würde. Wie sollte ich das Alice bloß erklären?“, versuchte ich, die triste Stimmung etwas aufzulockern, was mir auch vorübergehend gelang.

„Idiot“, schnaubte Jazz, boxte mir leicht gegen den Oberarm und lachte für eine Weile vor sich hin. Kurz darauf trübte sich die Stimmung allerdings, und er suchte mich mit seinem Blick. Da ich ohnehin wusste, dass ich ihm nicht entkommen könnte, sah ich ihn schweigend an und wartete ab, was als nächstes kommen würde.

„Ich hab Jake bereits gesagt, dass wir beide uns jetzt vom Acker machen werden, um das nächste Restaurant zu plündern. Also heb deinen Arsch und komm mit“. Dies sagte mein Bruderherz mit einem so strengen Ton, dass ich sofort wusste, dass Widerstand zwecklos war. Mit einem lauten und resignierten Seufzen tat ich, was er von mir verlangte und verließ kurz darauf  mit ihm das Büro. Mein Handy ließ ich absichtlich in der Schublade, weil mir immer mehr bewusst wurde, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich musste wirklich beginnen, abzuschalten und mein Leben wieder in den Griff zu kriegen, deshalb fing ich gleich damit an und nahm mir vor, mal eine Stunde abzuhauen, an nichts zu denken und die Arbeit wenigstens für eine Weile hinter mir zu lassen.

„Alice wird übrigens wirklich zu uns stoßen. Wenn es dich irgendwie stören sollte, dann kann ich jederzeit…“

„Nein, Jazz, bist du irre? Was redest du dann da? Ich mag deine kleine Hexe wirklich sehr, ihre Anwesenheit stört mich doch nicht. Niemals. Ich freu mich, sie zu sehen“

„Wirklich?“

„Wirklich. Und jetzt los, bevor ich es mir anders überlege“, drängte ich und schob ihn ein Stück über den Gang.

„Jake, wir sind dann mal weg. Wenn irgendwas ist, ruf mich an, ich hab das Handy dabei“, rief Jazz in Jacobs Büro und fuchtelte mit seinem Telefon in der Luft herum. „In Ordnung. Mahlzeit“, kam es zurück, und schon legte Brüderchen einen Arm um meine Schultern und zog mich zum Lift.

„Nein, bitte nicht“, entfuhr es mir, und ich blieb stehen. „Können wir … würde es dir etwas ausmachen, wenn wir die Treppen oder den anderen Fahrstuhl nehmen?“, fuhr ich leise fort und schaute verschämt in Jaspers Gesicht. Einfühlsam und wissend lächelte er mich an und änderte die Richtung.

„Klar, kein Problem, aber wir gehen bitte zum anderen Lift, denn auf die fünf Millionen Treppen hab ich auch keinen Bock“, gluckste er, und natürlich stimmte ich ihm mit einem überzeugten „Einverstanden“ zu.

Vollkommen gedankenverloren folgte ich meinem Bruder wie ein beschissenes Schoßhündchen und sagte kein Wort. Erst, als wir ein kleines, aber sehr gemütliches Restaurant betreten hatten, was sich gleich zwei Blocks weiter befand, war ich wieder ich selbst.

Kaum hatten wir das Lokal betreten, riss Jazz seinen Arm hoch und winkte wie wild in die linke hintere Ecke des Raumes. „Na komm schon“, sagte er mit einem plötzlich verflucht nervösen Unterton in der Stimme und zog mich einfach mit. Eine Sekunde später bockte ich wie ein störrischer Esel, als ich sah, wer sich außer Alice noch an unserem Tisch befand.

„Toll eingefädelt, du Ratte“, zischte ich angepisst, warf einen schnellen Blick auf Isabella, die gerade das Muster des Tischtuches auswendig lernte und riss dann meinen Kopf zu Jazz, um ihm wütend in die Augen zu sehen. „Ich geh dann mal wieder“, murmelte ich hinterher, riss mit einem Ruck meinen Arm aus seiner Umklammerung und drehte mich zur Tür.

„Oh nein, du bleibst hier“, fuhr er mich an, packte mich ziemlich grob an der Schulter und hielt mich auf.

„Verdammt, Jazz. Isabella ist gestern förmlich vor mir geflüchtet, was soll dieser Scheiß? Ich hab es wirklich nicht nötig, mich aufzudrängen, das will ich nicht. In neun Tagen findet diese beschissene Hochzeit statt, was versprichst du dir von diesem Treffen? Zur Hölle, Jazz, WAS??“ Diese Worte kamen nur geflüstert aber gottverdammt sauer über meine Lippen, und ich wollte wirklich nichts wie weg. Dennoch machte ich den Fehler und warf noch einen Blick auf Isabella, die sehnsüchtig in meine Richtung sah. Gott, ich vermisste sie doch auch …

„Bitte, Edward, sprich mit ihr. Es steht so vieles zwischen euch, das geklärt werden muss. Tu es einfach, sonst wirst du die Hoch… nun, den achtzehnten August nicht überstehen. Bitte“, sagte er leise und drückte mir liebevoll die Schulter.

„Na gut. Wahrscheinlich hast du recht“. Seufzend, schüchtern und unsicher wie vor einem ersten Date fuhr ich mir durchs Haar und folgte meinem glücklich lächelnden Bruder an den hintersten Tisch.

„Hallo, Schatz“, trällerte Alice drauf los, erhob sich und fiel Jasper um den Hals. Ohne ihren Gruß zu erwidern, verwickelte er sie in einen zärtlichen Kuss, und ich fühlte mich einmal mehr fehl am Platz. (Beta-A/N: *aufsag* Bleib ganz ruhig, Katrin. Atme tief ein und wieder aus *einatme* *ausatme* So ist es richtig. Es ist nur eine Fanfiktion. In Wirklichkeit liebt Jazz dich und nur dich. --> Hahahahahahahaaaa, ich kann nimmer…)

„Hi, Edward“, flüsterte Isabella und blinzelte mich durch ihre langen, schwarzen Wimpern an. „Hi“, erwiderte ich ebenso leise und stellte verwundert fest, dass sie auch schon mal besser ausgesehen hatte. Sie wirkte blass und schien mit denselben Schlafstörungen zu kämpfen wie ich. Leichte Schatten unter ihren Augen ließen sie unheimlich müde wirken, es war, als wäre sie furchtbar erschöpft.

„Setzt euch doch. Hi, Edward“, sagte Alice, nachdem Jaspers Lippen die ihren wieder freigegeben hatten, und lächelte mich liebevoll, aber leicht unsicher an. Natürlich gaaaanz zufällig pflanzte sie ihren kleinen Arsch neben Jazz, während ich mich wohl oder übel neben Isabella niederlassen musste. Verräterisches Pack.

Aber verdammt, warum zickte ich bloß so? Ich hatte mir doch in den vergangen Tagen nichts sehnlicher gewünscht, als wieder einmal in IHRER Nähe zu sein, was genau passte mir nun nicht? Sollte ich nicht eher den Augenblick genießen und mir nehmen, was ich kriegen konnte? Genau DAS hatte ich mir doch vorgenommen, oder?

„Wie geht es dir?“, sprach mich die Frau neben mir zögerlich an, und doch hatte ich irgendwie nicht die Kraft, ihr in die Augen zu sehen, oder auf ihre Frage zu reagieren. Ich starrte lediglich blöd auf meine Finger und war wenigstens so cool, meine Aufmerksamkeit auf die Speisekarte zu richten.

„Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“, fragte plötzlich eine bildhübsche, wasserstoffblonde Kellnerin in die Runde und schmachtete zwischen Jazz und mir hin und her. Alice ließ sich das natürlich nicht bieten, legte sofort einen Arm um ihren Liebsten und grinste ihre Feindin gehässig an. „Gar nichts, denn wir sind gleich weg“.

„Sind wir das?“ Überrascht riss ich meinen Kopf hoch und starrte Jaspers Freundin verwirrt ins Gesicht. Hallo? Wir waren doch gerade erst gekommen, warum wollte sie schon wieder gehen?

„Jazz und ich werden gehen, ihr bleibt hier!“, sagte sie mit fester Stimme und stand auf.

„Aber…“

„Kein aber, Edward. JA, Jasper und ich sind böse. JA, dies war ein abgekartetes Spiel, und JA, du hast keine Chance. Schnapp dir die Speisekarte, bestell dir was zu essen, und rede mit Bella, verdammt nochmal. Schaut euch an, wie ihr ausseht, ihr geht an diesem Scheiß zugrunde. Also – keine Widerrede und Mahlzeit“. Dann wandte sie ihren Blick von mir ab und drehte sich zu Jazz. „Komm, Süßer. Wir hauen ab“.

„Tja, du hast sie gehört“, schmunzelte mein verräterischer Bruder, stand auf, legte seiner Alice einen Arm um die Taille und zog sie zur Tür. „Mahlzeit“, rief er noch über seine Schulter, drückte der kleinen, schwarzhaarigen Hexe einen Kuss auf die Stirn, und beide verließen kurz darauf das Lokal.

Wow, und spätestens jetzt wusste ich ganz genau, dass Jaspers Scheidung ein Kinderspiel war…was für ein durchtriebenes Luder!!

Die Kellnerin stand nach wie vor neben unserem Tisch, schaute nun ziemlich blöd zwischen Isabella und mir hin und her und heftete ihren Blick letztendlich auf mich. „Also …“, hauchte sie und lächelte mich aufreizend an, „…was darf ich Ihnen bringen?“.

„Bier“, bestellte ich kurz angebunden, und sie nickte. „Und was möchten Sie?“, fragte die Kellnerin nun Isabella, doch ihr Tonfall war bissig und kühl. „Auch ein Bier, und nun lassen Sie uns bitte allein“, fauchte die Lady an meiner Seite, und ein warmes Prickeln erfüllte meine Brust.

Oh yeah, sie war also nach wie vor eifersüchtig und besitzergreifend, ich fasste es nicht. In neun Tagen würde sie heiraten, aber dennoch konnte sie es nicht ertragen, wenn andere Frauen Interesse an mir zeigten. Obwohl ich diese Situation nun eiskalt ausnutzen und die Kellnerin anmachen könnte, tat ich es nicht, denn Alice hatte recht. Wir mussten reden, diesen ganzen Scheiß zwischen uns klären, sonst wäre es irgendwann zu spät für ein klärendes Gespräch.

Vorsichtig drehte ich meinen Kopf und sah sie an. Sie tat es mir gleich und senkte verlegen grinsend den Blick. Eine leichte, wohl durch die Eifersuchtsattacke ausgelöste Röte zierte ihr blasses Gesicht, und Himmel – sie sah einfach bezaubernd aus.

„Tut mir leid“, sagte sie leise und zuckte mit den Schultern, bevor sie zur Speisekarte griff und hochkonzentriert das Angebot studierte.

„Darf ich?“, fragte ich und beugte mich zu ihr, um ebenso einen Blick auf die eng bedruckten und in Folien verpackten Blätter zu werfen, und sofort erwischte mich eiskalt ihr Duft. Meine Lider klappten flatternd nach unten, als ich tief inhalierte und das genoss, was nun in meiner Nase kitzelte. Dieser fruchtig-süße und unglaublich weibliche Geruch weckte wieder Gefühle in mir, die ich wohl niemals unter Kontrolle bringen würde, denn ja, zur Hölle, ich liebte dieses wundervolle Wesen an meiner Seite. So sehr.

„Natürlich“, hauchte sie, und erschrocken riss ich meine Augen wieder auf. ‚Verdammt nochmal, Cullen, jetzt reiß dich doch zusammen, das darf doch nicht wahr sein!!‘, schrie ich mich im Geiste selber an, doch viel schlimmer war wohl das leise Kichern, was soeben neben mir ertönte und dieses Mal mich – Edward Cullen – erröten ließ.

„Sei ruhig“, zischte ich gespielt wütend und grinste sie an.

„Niemals“, gluckste sie zurück und zeigte mir doch tatsächlich die Zunge. Gott, diese Frau machte mich verrückt. Gottverdammt erotisch, sexy und heiß, und doch kindisch wie ein kleines Mädchen. Einfach süß.

Die Kellnerin unterbrach uns für einen Moment, um die Getränke auf den Tisch zu stellen und wollte wissen, für welche Gerichte wir uns entschieden hatten, doch soweit waren wir noch nicht. Hektisch beugten wir uns ein weiteres Mal über die Speisekarte, und dann entschied ich mich für ein Steak mit Folienkartoffeln, während Isabella ein Grillkotelett mit Beilagen bestellte. Wir beschlossen, uns einen gemischten Salat zu teilen und nickten Blondie zu. „Vielen Dank“, murmelte diese, schrieb noch etwas auf ihren kleinen Block, drehte sich um und ging. Na endlich.

„Also, Edward“, begann Isabella und schaute mich aufmerksam an, „worüber sollen wir sprechen?“

„Sag du es mir, keine Ahnung“, erwiderte ich unbeteiligt und zuckte mit den Schultern.

„Eigentlich sollten wir Alice fragen, was genau wir zu besprechen haben“, stellte meine Traumfrau fest und gönnte sich einen großen Schluck Bier.

„Stimmt“. Ich tat es ihr gleich, befeuchtete meine trockene Kehle mit meinem wohltemperierten Getränk und stellte langsam das Glas zurück auf den Tisch. Natürlich war mir bewusst, dass es wohl nicht mehr so oft vorkommen würde, dass wir uns auf neutralem Boden sehen und miteinander reden konnten, also nahm ich mir vor, diese Gelegenheit tatsächlich zu nutzen.

„Isabella?“

Ihr Kopf drehte sich ruckartig in meine Richtung, und überrascht schaute sie mich an. „Ist dir doch etwas eingefallen?“ Sie grinste.

„Ja. Hör mal ...“, ich seufzte tief, und ihr gefror das Grinsen im Gesicht, „…du heiratest in neun Tagen, und ich wollte dir nur sagen, dass du von mir nichts mehr zu befürchten hast. Ich werde ab sofort die Finger von dir lassen, auch wenn es mir verdammt schwer fallen wird. Bald bist du die Frau meines Vaters, und ich werde wohl oder übel damit klarkommen müssen, auch wenn ich …“, und ich brach ab.

„Auch wenn du was?“. Natürlich würde sie es nicht dabei belassen, schon klar. Ich stützte meine Ellenbogen auf den Tisch, fuhr mir mit beiden Händen heftig über das Gesicht, ließ meine Arme kraftlos auf die Tischplatte fallen und fixierte Isabella, so intensiv ich nur konnte.

„Auch wenn ich dich verflucht begehre, dich vermissen und mich nach dir sehnen werde. Ich will und werde nicht mehr lügen, Isabella, denn dafür ist es zu spät“. Tränen glitzerten in ihren wunderschönen, dunkelbraunen Augen, doch ich fuhr einfach fort. „Ich werde mich daran gewöhnen. Gewöhnen MÜSSEN. Aber mach dir keine Gedanken, ich komm schon zurecht. Werde glücklich mit meinem Dad, das wünsch ich dir von ganzem Herzen. Ich tu es wirklich nicht gern, aber ich lasse dich gehen. Unsere Wege trennen sich hier und jetzt. Alles, was uns ab sofort verbindet, wird eine Freundschaft sein, aber bitte – keine Freundschaft mit Extras, das muss endlich ein Ende haben, verstehst du mich?“

Weinend schüttelte sie den Kopf. „Nein, Edward, das ist … ich kann das nicht. Keine Freundschaft, bitte, ich brauche dich“.

Eigentlich hätte ich wieder einmal allen Grund, gottverdammt wütend zu werden, doch das war ich nicht. Seltsamerweise war ich vollkommen ruhig, legte tröstend meinen Arm um ihre Schultern und drückte sie an meine Brust. „Shhh, hör auf zu weinen, Kleines. Glaub mir, alles wird gut. Wir dürfen das Schicksal aber nicht ständig herausfordern, denn irgendwann geht es schief. Du musst versuchen, deine ganze Liebe auf Dad zu projizieren und das zu vergessen, was zwischen uns war. Schaffst du das?“. Sie reagierte nicht. „Isabella, sieh mich an“. Je länger ich auf sie einredete, desto intensiver vergrub sie sich an meiner Brust.

Ich wich ein kleines Stück zurück, legte meine Hände an ihre Wangen und drückte so ihren Kopf ein wenig hoch. Diese gottverdammte Traurigkeit in ihren Augen, ich hasste sie so sehr. Und dennoch blieb ich stark. „Bitte versprich mir, dass du es wenigstens versuchen wirst. Ich hingegen werde mich bemühen, dir so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, um es dir leichter zu machen, in Ordnung?“

Unaufhörlich rannen dicke Tränen an ihren Wangen nach unten und machten meine Hände nass, doch das war mir egal. Minutenlang schaute ich ihr starr in die Augen und bemerkte immer mehr, dass ihr Widerstand brach. „Ich … okay, ich werde es … versuchen“, schluchzte sie, und ich drückte seufzend ihren Kopf an meine Schulter, wo sie lautlos weiter weinte und zitterte wie Espenlaub.

Das Essen verlief schweigend, Isabellas Tränen waren versiegt. Alles, was ich nun in ihren Augen sehen konnte, war eine unendliche Leere. Der Wille zu kämpfen war da, doch innerlich war sie schwach, ich sah es ihr an.




„Dann bis zur Hochzeit“, verabschiedete ich mich leise, nachdem ich bezahlt und mit ihr das Restaurant verlassen hatte. Am liebsten hätte ich laut geschrien bei dem Gedanken, sie nun neun Tage nicht zu sehen, um sie letztendlich ganz zu verlieren, doch ich hatte keine Wahl.

Wir waren bereits auf dem Weg ins Büro, als sie plötzlich stehen blieb und auf eine Art mit mir sprach, die mir vor Sehnsucht die Knie weich machte. „Edward, bitte küss mich. Ein letztes Mal. Bitte…“, hauchte sie, während erneut Tränen aus den geröteten Augen quollen und ihre Wangen benetzten. Für einen Augenblick senkte ich meinen Blick auf ihre wundervollen, nass glänzenden Lippen, dennoch war mir bewusst, dass ein Kuss in diesem Moment alles kaputt machen und meine guten Vorsätze zunichtemachen würde, also wusste ich, was richtig war.

„Nein, Baby, das wäre nicht gut. Bitte verzeih“, sagte ich leise und mit einem dicken Kloß im Hals. Natürlich wollte ich nichts lieber, als sie innig  zu küssen, doch ich musste endlich einen Schlussstrich ziehen, und das tat ich auch. Ich hob meine rechte Hand, streichelte über ihre nasse Wange, lächelte sie wehmütig an und ging los.

Sie folgte mir nicht.




*****





Freitag, 10.8.2009


„Du hast wirklich die Firma dicht gemacht und unseren Leuten Urlaub gegeben?“, fragte mich Jazz völlig perplex, während er an seiner Krawatte herumnestelte und immer wieder leise vor sich hin fluchte.

„Yeah, hab ich. Mr. Hancock hat seinen Termin kurzfristig wegen Krankheit abgesagt, und sonst wäre ohnehin nichts los gewesen. Angela hat gekonnt den Anrufbeantworter besprochen, also … kein Problem. Abgesehen davon werde ich den heutigen Tag zum Feiertag erklären, wenn du endlich wieder ein freier Mann bist“, sagte ich glucksend und kümmerte mich um Jaspers Krawatte.

Mein armes Bruderherz war furchtbar nervös. Ständig funkelten kleine Schweißperlen auf seiner Stirn, die er immer wieder mit einem zerknüllten Taschentuch eliminierte und sich ein lässiges Lächeln aufs Gesicht quälte. „Naja, was soll ich sagen? Gut gemacht, Bro“, stimmte er meinem spontanen Sonderurlaub zu und betrachtete sich im Ganzkörperspiegel, als ich ihm die Freigabe dafür erteilte.

„Siehst gut aus, Man“, stellte ich zufrieden fest und legte meine Hand auf seine zitternde Schulter. „Hey, komm wieder runter. Es kann dir nichts passieren, denn vergiss nicht – du hast Alice an deiner Seite, und wir haben Jessica in der Hand. Ganz ruhig, okay? Ich werde bei dir bleiben und nicht von deiner Seite weichen, wenn du es willst“.

„Klar will ich das, Edward“, sagte er leise und zwang sich ein mutiges Lächeln aufs Gesicht.

„Na, dann mal los. Wir treffen uns in nicht ganz zwanzig Minuten mit Alice vor dem Gericht. Auf ich den Kampf“. Ich machte einen auf locker und lässig, in der Hoffnung, Jaspers Nervosität zu lindern, doch es gelang mir nicht. Vollkommen verkrampft saß er während der kurzen Autofahrt neben mir und starrte wortlos aus dem Fenster.

Dichte, dunkelgraue Wolken zogen träge über den Himmel, als ich glücklicherweise direkt gegenüber des Gerichtes einen Parkplatz fand und kurz darauf den Motor abstellte. „Hey, alles klar? Geht’s dir gut?“, fragte ich Jazz, der sich wieder einmal ein paar Schweißperlen von der Stirn wischte und mir ein schwaches Lächeln schenkte. „Geht so“, antwortete er leise, seufzte dafür laut und senkte seinen Kopf.

Verdammt, natürlich hatte er nicht vergessen, dass diese blöde Schlampe von Jessica erst gestern wieder gedroht hatte, ihn fertig zu machen und ihn nach Strich und Faden auszunehmen. Dennoch legte ich all unsere Hoffnungen in Alice und war davon überzeugt, dass sie das Beste aus der ganzen Scheiße machen würde. Ja, ich vertraute ihr.

„Komm schon, Jazz, Augen zu und durch“. Ich klopfte ihm auf die Schultern, drückte einmal fest zu und sah in dem Moment, dass Alice sich soeben dem Eingang des Gerichtes näherte. „Guck mal, wer da ist“.

Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, zog es hoch und drehte es in die Richtung, in welcher sich seine Süße gerade sehr elegant gekleidet auf unser Zielobjekt zu bewegte. Augenblicklich huschte ein kleines Lächeln über seine Lippen, und das freute mich sehr. „Na also, geht doch“, sagte ich grinsend und stieg aus. Er folgte mir sofort, und kurz darauf waren wir zu Dritt.

„Hi“, hauchte Alice und bedachte Jazz mit einem bezaubernden Lächeln. Mit einem „Hi, Miss Brandon“, erwiderte er ihren Gruß, grinste breit und war plötzlich ein vollkommen anderer Mensch. Natürlich durfte niemand merken, dass die beiden mittlerweile mehr waren als Anwalt und Klient, also hielten wir uns nicht lange auf und betraten das imposante Gebäude, welches ich selbst erst kürzlich als geschiedener Mann verlassen hatte. Was für eine Ironie.

Schweigend gingen wir in den ersten Stock, und Jasper erstarrte in dem Augenblick, in welchem er Jessica erblickte, die entsetzlich aufgestylt vor der Tür zum Verhandlungssaal 106 auf uns wartete. Nein – nicht auf uns, sondern auf Jazz.

„Na? Hast dein unvermeidbares Anhängsel wohl mitgebracht, huh? Ohne geht’s wohl nicht, du Schisser“, fuhr sie ihn an, nachdem sie mich mit ihrem Blick ermordet hatte, und augenblicklich fühlte ich ein übles Zucken in meiner rechten Hand.

Jazz verhielt sich ruhig, sagte kein Wort und reagierte auch sonst nicht auf dieses blöde Weib. Alice schenkte ihm ein stolzes Zwinkern, und in diesem Moment wurde mir klar, dass dies eine vereinbarte Taktik war. Klappe halten, okay.

„Nana, Mrs. Cullen, ganz ruhig. Wir wollen doch nicht ungut auffallen, bevor die Scheidung überhaupt begonnen hat“, sagte plötzlich ein älterer, rundlicher Typ mit  Glatze und Schnäuzer, der soeben um die Ecke kam.

„Auch schon da?“, fauchte ihn Jessica an und verschränkte wütend ihre Arme vor der Brust.

„Tut mir leid, der Verkehr…“, entschuldigte er sich und begrüßte sogleich Alice, die ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Oh, die beiden schienen sich zu kennen und wie es schien, auch zu mögen. Perfekt, somit würde es auch keinen kalten Krieg zwischen den Anwälten geben.

Nachdem unsere kleine Hexe ihren Kollegen freundlich begrüßt hatte, wandte sie sich an Jess, und ich dachte, ich hätte ernsthaft etwas an den Ohren. „Schickes Kleid, wo haben Sie das denn gekauft?“, säuselte sie, ließ ihre Augen bewundernd über Jessicas Körper gleiten und keuchte beim Anblick ihrer Schuhe. „Louboutins … Gott, ich liebe sie. Verdammt, aber die sind doch sündhaft teuer“, sagte sie ehrfürchtig, und die größte Dumpfbacke aller Zeiten fiel gnadenlos darauf herein.

„Ach, als Model verdiene ich genug, und ab und an sollte FRAU sich doch etwas gönnen, oder?“, gab Jessica stolz von sich, und ich sah ihr sofort an, dass sie die gegnerische Anwältin am liebsten zur dicken Freundin hätte. Man, war die blöd…

„Aber natürlich“, kicherte Alice, bewegte ihren Kopf langsam in unsere Richtung, verdrehte die Augen, zwinkerte und widmete sich wieder Jess. In diesem Moment fielen mir Emmetts Worte ein, und yeah, er hatte recht. Alice hatte wirklich die Gabe, alle um ihren Finger zu wickeln, ganz egal, ob Mann oder Frau.

„Guten Tag, die Herren. Maxwell Snider mein Name. Ich bin der Anwalt von Mrs. Cullen und hoffe, dass wir die Sache gütlich regeln können“, stellte sich nun der Glatzkopf vor und schüttelte uns die Hand. Mit einem glücklichen Seufzen nahm ich zur Kenntnis, dass sich Jaspers Anspannung zusehends löste, doch als sein Scheidungsfall aufgerufen wurde, war sie wieder da.

„Dann mal los“, trällerte Alice, betrat als Erste den Saal und war so cool und gelassen, dass sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht legte, während ich Jasper in den Verhandlungssaal schob.

Eine ältere Lady mit feuerrotem Haar und einer tiefsitzenden, schmalen Lesebrille auf der Nase bat uns, Platz zu nehmen und schlug die bezughabende Akte auf. „Nun, Mr. und Mrs. Cullen…“, begann sie und richtete ihren Blick abwechselnd auf die rechts und links neben ihr sitzenden, gegnerischen Parteien. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass alle Beteiligten anwesend waren, drückte sie den Knopf eines Aufnahmegerätes, welches sich am Richterpult befand und vergewisserte sich kurz, dass es auch funktionierte.

Ich hatte ganz hinten Platz genommen und beobachtete akribisch die Reaktionen der Beteiligten, heilfroh über die Tatsache, diesen ganzen Scheiß bereits hinter mir zu haben. Mr. Snider hatte neben Jessica Platz genommen und blätterte konzentriert in seinen Unterlagen herum, während Alice überlegen lächelnd und gottverdammt entspannt neben Jasper saß.

„Ihre Ehe ist nach Ihren eigenen Angaben unheilbar zerrüttet“, stellte die Richterin fest und richtete einen fragenden Blick an Jessica und Jazz. Beide nickten, also fuhr sie fort. „Mrs. Cullen – Sie fordern von Ihrem Mann laut dem mir vorliegenden Antrag eine einmalige Abfindung von 10.000 Dollar, einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 2.000 Dollar und beanspruchen das gemeinsame Appartement. Ist das richtig?“

„Ja, das ist richtig“, antwortete der Anwalt, während er sich kurz erhob, nickte, und sich wieder setzte. Auch Jessica nickte und grinste gehässig in die Richtung von Jazz, der sie allerdings glorreich ignorierte und zum Richterpult sah.

10.000 Dollar Abfindung?? 2.000 Dollar monatlich?? Oh mein Gott, diese verfluchte Schlampe! Am liebsten wäre ich auf der Stelle aufgesprungen, um sie kaltlächelnd zu erwürgen. Was bildete sich dieses gottverdammte Miststück eigentlich ein?

Ich richtete meinen Blick sofort auf Alice, die allerdings nach wie vor extrem entspannt wirkte, während ich den Eindruck hatte, dass Mr. Snider Jessicas Forderungen peinlich berührten. Sogar die Richterin sah Jessica seltsam an, diese jedoch grinste siegessicher vor sich hin.

„Miss Brandon als Vertreterin der gegnerischen Partei – wie äußern Sie sich im Auftrag von Mr. Cullen zu diesen Forderungen?“ Ein kleines Lächeln zuckte um den Mund der Richterin, als sie den Blick an Alice wandte und ihr mit einer kurzen Handbewegung das Wort erteilte.

„Nun, wie Sie der Akte entnehmen können…“, begann die Gefragte, erhob sich und umrundete langsam und geschmeidig den Tisch, an welchem sie und Jasper Platz genommen hatten, „…hat Mrs. Cullen vor nicht allzu langer Zeit einen sehr lukrativen Modeljob angenommen. Ich habe bewusst eine Kopie ihres Dienstvertrages den Unterlagen beigelegt, aus welcher ersichtlich ist, dass die Genannte ein monatliches Nettoeinkommen von über 2.000 Dollar bezieht“.

Fuck, wie genial. Mit weit aufgerissenen Augen und einem amüsierten Grinsen im Gesicht fixierte ich nun Jessica, die gerade tausende imaginäre Giftpfeile auf Alice schoss und danach einen tödlichen Blick auf Jasper warf.

„Anmerken möchte ich auch, dass Mrs. Cullen ihren Traumjob meinem Mandanten zu verdanken hat. Er hat sich für sie eingesetzt, damit sie nach der Scheidung auch wirklich versorgt sein würde, und ich denke, dass man ihm das hoch anrechnen sollte“. Einen kurzen Moment sah sie bewundernd zu Jazz, um dann sogleich aufmerksam die Richterin zu mustern, die beinahe ehrfürchtig meinen Bruder betrachtete und dann zu Jessica sah.

„Entspricht das den Tatsachen, Mrs. Cullen?“

„Ja, Herrgott noch mal, das hat dieser verfluchte…“, fauchte sie los, doch Mr. Snider fuhr sofort dazwischen. „Nicht in diesem Ton, Jessica. Abgesehen davon haben wir vereinbart, dass Sie MIR das Sprechen überlassen, oder? Deshalb bin ich hier“, zischte er leise, doch wir konnten es dennoch laut und deutlich hören. Yeah, Dumpfbacke schien gerade eben bewusst geworden zu sein, dass sie verlieren würde, und langsam wurde sie nervös.

Die Richterin musterte Jessica mit einem ausgesprochen strengen Blick, wartete eine Minute, bis wieder Ruhe eingekehrt war und fuhr fort. „Also, Ms. Brandon…“, sagte sie ernst und machte eine Handbewegung, wonach Alice mit ihren Ausführungen weitermachen sollte, und das tat sie auch.

„Was den monatlichen Unterhalt betrifft, werde ich mich also im Namen meines Mandanten entschieden dagegen aussprechen. Ebenso halten wir die Forderung nach  der einmaligen Abfindung für absolut überzogen und nicht nachvollziehbar. Mrs. Cullen hat jahrelang das Geld meines Mandanten für unnötige Shoppingtouren verprasst, ohne selbst auch nur einen Cent beizusteuern. Also ich finde, wenn hier jemand ein Anrecht auf eine Abfindung hätte, dann Mr. Cullen“, sagte sie und bedachte Jessica mit einem ausgesprochen bösen Blick.

„Einspruch“, rief Mr. Snider und schoss hoch. „Was haben die Shoppingtouren meiner Mandantin mit der Abfindung zu tun?“

„Stattgegeben“, murmelte die Richterin.

„Okay“, erwiderte Alice und zuckte mit den Schultern. „Ich wollte es nur gesagt haben“. Ein freches Grinsen huschte über ihr Gesicht, während sie rasch und unbeobachtet in Jaspers Richtung zwinkerte und auch mir kurz zulächelte. Gott, sie war wirklich eine Hexe. Ich konnte kaum fassen, wie sie sich hier benahm. Ständig hart an der Grenze, und doch so brillant.

„Und was das Appartement betrifft“, fuhr Alice fort und drehte sich ruckartig wieder zu der Richterin, „so spreche ich mich im Namen meines Mandanten auch dagegen aus“.

Was??? Was sollte das jetzt? Jasper wohnte doch schon die längste Zeit bei mir, und es war von vornherein klar, dass Jessica es behalten durfte. Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

Verwirrt richtete ich meinen Blick auf Jazz, der jedoch ganz ruhig auf seinem Stuhl saß und total verträumt seine Kleine bewunderte. Okay, scheinbar gehörte dies ebenso zu einem genialen Plan, also beruhigte ich mich wieder und konzentrierte mich auf Jessicas Reaktion.

„Was?? Das … was soll dieser Scheiß?“. Boah, meine zukünftige Ex-Schwägerin rastete vollkommen aus und schoss hoch, sodass sich ihr Stuhl geräuschvoll nach hinten schob. „Jessica, es reicht“, zischte Snider, erhob sich ebenfalls und drückte die nach wie vor wütende Dumpfbacke an den Schultern nach unten. „Entschuldigen Sie bitte das unziemliche Verhalten meiner Mandantin“, murmelte er rasch zur Richterin, welche lediglich seufzend den Kopf schüttelte und erneut ein wenig wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war.

Gott, wie froh war ich rückwirkend über meine eigene Scheidung. Natürlich hätte Alice auch für mich so gekämpft, doch Gott sei Dank war dies in meinem Falle nicht nötig. Dabei keimte ein übler Gedanke langsam in mir auf – würden Dad und Isabella auch eines Tages in so einem Verhandlungssaal sitzen und auf die Beendigung ihrer Ehe bestehen? Gäbe es denn auch nur den Funken einer Hoffnung, meine Traumfrau für mich zu gewinnen? Für mich ganz allein?

„Also, meine Herrschaften“, sagte die Richterin plötzlich ziemlich laut, und ich ärgerte mich ein wenig, weil ich so in meinen Gedanken versunken war, dass ich vermutlich einen weiteren genialen Schlagabtausch verpasst hatte. Doch nun hörte ich aufmerksam zu.

„Mrs. Cullen…“, begann sie nun und richtete ihren ernsten Blick auf Jess, „…wie ich der Akte entnehmen kann, sind sie durch den Job, den sie ihrem Mann verdanken können, finanziell bestens abgesichert. Ebenso bin ich der Meinung, dass die einmalige Abfindung von 10.000 Dollar furchtbar überzogen ist. Dennoch…“, und nun schaute sie Jasper ins Gesicht, „…sollte Mrs. Cullen nicht vollkommen leer ausgehen. Daher würde ich sagen, Sie überlassen ihr das Appartement mit sämtlichem Mobiliar und überweisen ihr einmalig 2.000 Dollar“.

Oooh, und nun verstand ich den Plan. Zuerst so tun, als würde sie die Wohnung nicht bekommen, obwohl klar war, dass Jessica sie ohnehin längst besaß, und dann so tun, als würde sie das Appartement großzügigerweise behalten dürfen – einfach brillant. Die Abfindung von 2.000 Dollar war auch kein Problem, also nun hieß es nur noch warten, was Jessica davon hielt.

Diese saß schnaubend neben ihrem Anwalt, der sich nun erhob und laut zur Richterin sprach.

„In Anbetracht dessen, dass meine Mandantin tatsächlich finanziell abgesichert ist, jedoch unter keinen Umständen auf das Appartement verzichten möchte, erklären wir uns mit Ihrem Vorschlag einverstanden“, sagte er und richtete seinen Blick auf Jessica, die zwar nickte, aber vor Wut wohl am liebsten Amok laufen würde.

„Sind nun beide Parteien mit dieser Lösung einverstanden?“, wollte die Richterin wissen und schaute von einem zum anderen. Jazz und Alice sprachen ein einstimmiges „Ja“, auch von Snider kam ein solches, aber Jessica brummte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. „Mrs. Cullen?“, fragte die Rothaarige erneut, zog eine Augenbraue hoch und sah Jess über ihre Lesebrille hinweg eindringlich an. „Ja, von mir aus“, nuschelte diese, während ein breites Grinsen meine Lippen nach oben zog. Und die von Alice und Jazz.

„In Ordnung. Somit erkläre ich diese Ehe für geschieden. Bitte beachten Sie die vierzehntägige Einspruchsfrist und begeben Sie sich zur Amtskasse im Parterre. In etwa einer Stunde bitte ich Sie für ein paar Unterschriften in das Zimmer 117, dann sind Sie entlassen“, schmunzelte die Richterin, als hätte sie gerade eben einen Insiderwitz angebracht und stoppte das Gerät auf ihrem Tisch. „Ach, und der Beschluss der Scheidung wird Ihnen in den nächsten Tagen zugestellt“, fügte sie noch hinzu, verabschiedete sich mit einem kollektiven „Guten Tag“ und verließ zufrieden den Saal.

Ohne mit der Wimper zu zucken fielen sich Alice und Jazz um den Hals, küssten sich jedoch nicht. Ich sprang hoch, rannte zu den beiden und schlang meine Arme um sie.

„Arschlöcher“, brummelte Jessica plötzlich in unsere Richtung und wollte soeben auf uns zugehen, als Snider sie am Oberarm packte und ruckartig nach hinten zog. „Hören Sie auf damit“, warnte er sie, „wir sind doch nicht so schlecht ausgestiegen mit 2.000 Dollar und dem Appartement. Ich hab Ihnen von vornherein gesagt, dass Sie mit ihren utopischen Forderungen nicht durchkommen werden“, redete er auf sie ein. Jessica funkelte ihn so dermaßen wütend an, dass ich jeden Moment damit rechnete, sie würde explodieren.

„Sie verdienen keinen Cent von dem, was ich Ihnen bezahlen muss“, fauchte meine – YEAH – Ex-Schwägerin ihren Anwalt an, bedachte uns alle mit einem tödlichen Blick, drehte sich auf dem rechten Mörder-Absatz um und verließ fluchend den Saal.

„Entschuldigen Sie bitte“, nuschelte Snider peinlich berührt, zuckte mit den Schultern und räumte die Papiere in seine Aktentasche, die er gerade eben mit Schwung auf den Tisch befördert hatte. Dann verschloss er diese, ging ein paar Schritte auf uns zu und lächelte uns an. „Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie genug hatten von dieser Frau“, sagte er leise zu Jazz und zwinkerte ihm zu.

Jaspers Augen hatten mittlerweile ein Leuchten angenommen, welches ich seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Er strahlte über das ganze Gesicht und nickte  Snider wortlos zu. „Schönen Tag noch“, wünschte uns der Anwalt und ließ uns allein.

Nun gab es für Jasper kein Halten mehr. Er packte seine Alice, presste seine Lippen auf ihre, und die beiden verfielen in einen so leidenschaftlichen Kuss, dass ich nach draußen ging, um nicht zu stören.

Obwohl ich mich wahnsinnig für meinen Bruder freute, fühlte ich mich plötzlich so dermaßen allein, dass ich am liebsten gestorben wäre. Wieder einmal …
Was zum Teufel hatte ich eigentlich auf dieser beschissenen Welt verloren? Rund um mich herum sah und spürte ich tagtäglich geballtes Glück, Liebe, Freude und so viel an guter Laune, dass ich kotzen könnte. Und was blieb für mich?

„Man, hör auf, Trübsal zu blasen. Du hast vor etwa einer Stunde gemeint, dass du den heutigen Tag zu einem Feiertag erklären willst, also, Bro - tob dich aus“, riss mich Jazz plötzlich aus meinen düsteren Gedanken, und mein Kopf schoss hoch. Dann erfassten meine traurigen Augen das Szenario, welches sich vor mir abspielte und meine vollste Aufmerksamkeit erregte.

Bruderherz strahlte über das ganze Gesicht, drückte immer wieder seine Alice an sich, die sich glucksend an seine Brust schmiegte. Ständig fanden ihre Lippen zu einander, und sie waren so gottverdammt … glücklich.

Sollte ich nicht auch glücklich sein, wenn mein Bruder es war?

Sollte ich mich nicht mit ihm freuen und meine Scheiße ausnahmsweise mal ignorieren?

Sollte ich Jasper nicht umarmen, um ihm zu gratulieren? Jetzt?

Ja, verdammt noch mal, das sollte ich, und ich tat es auch.

Jazz war endlich frei…

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