„Charlie
… mein Dad … weißt du, er war alles für mich. Ich liebte ihn so sehr
und kann seinen Tod einfach nicht verkraften. Trotz der Tatsache, dass
es nun bald sieben Jahre her ist, vermisse ich ihn jeden Tag mehr, weiß
manchmal nicht, wie ich mit diesem Verlust umgehen soll…“, und plötzlich hatte ich einen Verdacht, der mir die Luft zum Atmen nahm.
Was, wenn Isabella Carlisle nicht als Mann liebte, sondern als … Dad?
Was, wenn sie in ihm den Vater sah, den sie seit Charlies Tod vermisste?
Was,
wenn sie mich deshalb wollte, weil sie sich dieser Tatsachen selber
nicht bewusst war? Lag dem Ganzen ein psychologisches Problem zugrunde?
Fuck.
„Shhh…“, flüsterte ich und streichelte unaufhörlich
über ihren Rücken, fuhr sanft über ihr Haar. „Schon gut. Der Verlust
eines geliebten Menschen tut immer weh. Die Zeit heilt alle Wunden ...
es ist nicht so, Isabella. Sie verschließt die Wunden, ja, aber die
Narben schmerzen oft ein Leben lang. Denk an deinen Dad, liebe und
verehre ihn. Er wird für immer in deinem Herzen sein, aber du musst auch
loslassen, weißt du?“ Sachte drückte ich sie von mir weg, legte meine
Hände an ihre tränennassen Wangen und schaute sie an. Die Traurigkeit in
ihren Augen stach in meiner Brust, ich konnte sie kaum ertragen.
Langsam begann ich, mit meinen Daumen über ihre bebenden Lippen zu streicheln.
Seufzend
schloss sie die Augen und genoss, was eben geschah. Ab und an zuckten
lautlose Schluchzer durch ihren Körper, doch von Minute zu Minute wurde
sie ruhiger und sah mich letztendlich an.
„Danke“, hauchte sie,
und die Traurigkeit in ihren dunkelbraunen Iriden wich einer
unglaublichen Sehnsucht, die mich leise seufzen ließ. Gott, ich sehnte
mich doch auch nach ihr. Nach ihrem wundervollen Körper, ihrem Duft,
dieser unglaublich zarten, weichen Haut, diesem … Fuck.
Und nun traf mich die Realität wie eine Abrissbirne. Es war nicht nur der Sex, der mich mit Dads Verlobter verband. Gottverdammte Scheiße, das … oh nein, bitte nicht.
Erschrocken ließ ich sie los, wich ein paar Schritte zurück und starrte sie an.
„Was
ist passiert?“, fragte sie verwirrt, schniefte laut und rümpfte
entzückend ihre kleine Nase, die … so, genug. Ich musste hier weg, aber
sofort. Mit einem leisen und entsetzten „Fuck“ drehte ich mich um und ließ sie allein.
„Edward! Was ist denn los?“, rief sie mir noch hinterher, doch ich reagierte nicht mehr darauf.
Was
sollte ich tun? Welche Chance hatte ich, aus dieser ganzen Scheiße
unbeschadet heraus zu kommen? Gib es zu, Cullen, du bist auf dem besten
Wege, dich in die Verlobte deines Vaters zu verlieben. Ganz toll. Eine
echte Glanzleistung!
Ich schmiss meine Zimmertür hinter mir zu, schnappte mein Handy und fiel wie betäubt auf mein Bett. Mit weit
von mir gestreckten Armen und Beinen lag ich da, schloss die Augen und
atmete ein paar Mal tief durch. Wie konnte mir das bloß passieren? Ich
wollte doch nichts von dieser Frau. Nicht einmal dieses beschissene
‚Isabella‘ hatte was gebracht. Wenn ich nun genauer darüber nachdachte,
war es mit Leah
schon etwas komisch. Ich wollte keine Blonde, die mich an Tanja
erinnerte, allerdings auch keine Brünette … wegen IHR. Warum ist mir das
eigentlich nicht aufgefallen, Herrgott nochmal?
Fuck, ich musste mit jemandem sprechen, brauchte Rat. Jazz.
„Hey, Bro? Alles klar?“, meldete er sich sofort, „Danke, Jake, das wars fürs Erste. Du kannst ruhig mal Mittag machen, bis dann“, hörte ich leise, und sofort widmete er sich wieder mir. „Tut mir leid, bin ganz Ohr. Also – was gibt’s?“
„Nein, nichts ist klar. Es ist … Man, können wir reden? Bitte…“
„Boah,
Bruder, so kenn ich dich ja gar nicht“, sagte er leise und ziemlich
besorgt, „Aber gut, treffen wir uns in einer halben Stunde im ‚Tutta
Bella‘. In Ordnung?“
„Sehr witzig, Jazz“, reagierte ich leicht
angepisst auf seinen Vorschlag, da mir das zweite Wort im Namen unserer
Lieblings-Pizzeria in Seattle so gar nicht gefiel.
„Keinen Bock auf Pizza? Wenn du möchtest, könnten wir auch wo anders…“
„Nein,
alles gut. In einer halben Stunde im ‚Tutta Bella‘, ich werde da sein.
Bis dann“. Irgendwie erleichtert beendete ich das Gespräch, ließ das
Handy einfach fallen und schloss erneut meine Augen, die ein wenig
brannten. Gott, ich war vollkommen überfordert von all dem hier, was
sollte ich denn tun?
Zwei Sekunden später klingelte das kleine, silberne Ding auf meinem Bett, und ich schaute es an. Mom – na toll. Super Timing.
„Edward,
Schatz, wie geht es dir? Bist du gesund?“, drang ihre nervige Stimme
sofort an mein Ohr. Scheiße, ich liebte meine Mutter. Natürlich. Aber
nicht jetzt. Ich hatte absolut keine Lust auf ihre weisen Belehrungen,
wollte nichts von frischer Luft, Obst und Gemüse hören, bitte nicht.
„Hi Mom, ja, bin fit wie ein Turnschuh, alles klar“.
„Und wie geht es … Tanja?“. Yeah, Mom mochte sie genauso wenig wie Dad. Also – her mit der Frohen Botschaft.
„Keine Ahnung, hab sie verlassen“. Eins….zwei….
„WAAAS??“…drei. Ich grinste.
„Ja, du hast schon richtig gehört, ich habe diese Beziehung beendet und werde mich scheiden lassen. So schnell wie möglich“.
„Wow,
na DAS sind doch mal News, sowas lob ich mir“, kicherte sie ins Telefon
und fuhr fort. „Aber wo wohnst du denn zurzeit? Bei Jasper?“ Bei
Jasper? Ja, ganz bestimmt. Wäre dies der Fall, würde ich mein Dasein
längst hinter Gittern fristen, da ich Jessica eiskalt den Garaus gemacht
hätte.
„Nein, ich bin bei Dad“. Autsch, das war ein Fehler.
„Ach, bei Dad? Und bei … IHR?“ Ihr hörte sie schnaufen und schmunzelte vor mich hin.
„Ja,
genau. Sie heißt Isabella und ist … nett“. Schon wieder dieses blöde
Wort. Nett ist die kleine Schwester von scheiße, doch nein, das war sie
nicht. Niemals.
„Naja, wie du meinst. Schön, dass du sie magst
und lieber bei ihr und deinem untreuen Vater lebst, als bei mir“. Oh
Gott, jetzt ging es also los.
„Mom, erstens ist Dad nicht untreu, weil ihr seit Jahren geschieden seid, und zweitens, ja, sie ist nett. Wenn du mit den
beiden nicht klarkommst, ist das doch nicht mein Problem. Du weißt,
dass ich zu meinem Vater schon immer eine ganz besondere Beziehung
hatte, und auch nach wie vor habe, also was…“
„Und zu mir hast du die nicht?“, unterbrach sie mich und hatte einen irgendwie weinerlichen Ton. Fuck.
„So
hab ich das doch nicht gemeint“, schwächte ich ab, doch es war wohl zu
spät. „Hör zu, Mom, ich treffe mich in zwanzig Minuten mit Jazz zum Mittagessen, ich muss los“.
„Na,
wenigstens isst du anständig“, erwiderte sie, und ich schüttelte
grinsend den Kopf. „Kommst du mich vielleicht auch mal besuchen? Ich
denke, es gibt da einiges zu besprechen“.
„Jaaa“, sagte ich mit einem vielleicht etwas angepissten Unterton in der Stimme.
„Edward Anthony Cullen, wenn du deine Mutter nicht sehen willst, dann sag es doch gleich“.
„Natürlich
will ich dich sehen, Mom. Ich melde mich, okay? Muss jetzt wirklich
los. Bis bald“. Dann legte ich einfach auf. Gott, ich hatte jetzt
wirklich keinen Bock auf eine komplizierte Mutter-Sohn-Debatte, außerdem
hatte ich wirklich Stress.
Mit einer
eleganten Bewegung sprang ich aus dem Bett, schnappte mein Handy,
schmiss die Tür hinter mir zu und rannte nach unten. Fuck, ich war
wirklich spät dran. Rasch schlüpfte ich in meine Chucks, griff nach der
Lederjacke und war bereits am Sprung, als ich einmal mehr diese Stimme
hinter mir vernahm, die ich jetzt gar nicht hören wollte.
„Wohin gehst du?“. Wieder diese tiefe Traurigkeit, verdammt.
„Essen. Mit Jazz.
Wir sehen uns“. Ohne sie anzusehen, verließ ich das Haus, eilte zu
meinem Wagen und fuhr los. „Gottverdammte Scheiße“, fluchte ich laut,
schlug einmal fest gegen das Lenkrad und fuhr mir durchs Haar. Ich war
sowas von verwirrt, dass ich wirklich Mühe hatte, mich auf den Verkehr
zu konzentrieren, hielt aber pünktlich vor der Pizzeria an und betrat
das Lokal. Einen kurzen Moment ließ ich meine Augen durch die
Räumlichkeiten schweifen und fand sogleich, wonach ich suchte. Jazz
winkte mir zu, und wenige Augenblicke später sank ich erschöpft auf den
schwarzen Stuhl.
„Du siehst beschissen aus, was ist los?“,
fragte er mich besorgt, während er mir eine Speisekarte in die Hand
drückte und mich aufmerksam musterte. Plötzlich war ich mir gar nicht
mehr so sicher, ob ich überhaupt darüber reden wollte. Über Isabella und
diese … seltsamen Gefühle.
„Edward? Ich dachte, wir wären hier, um zu reden? Also – wie kann ich dir helfen? Sprich mit mir“.
„Quattro
Stagioni“, murmelte ich leise vor mich hin und wusste zumindest, für
welche Pizza ich mich entschieden hatte, wenn auch nicht, für welche
Frau. „Oh, tut mir leid, natürlich. Entschuldige bitte“, sagte ich nun
zu meinem Bruder und legte die Speisekarte weg.
Kurz darauf kam der Kellner, nahm unsere Bestellungen auf und war wieder weg.
Mit einem
tiefen Seufzen stützte ich meine Ellenbogen auf den Tisch und vergrub
das Gesicht in meinen kalten Händen. Ein paar Mal rieb ich fest daran
auf und ab, doch dann rief mich Jazz auf den Plan.
„Es geht um Isabella, oder?“
Meine Unterarme fielen kraftlos auf den Tisch und ich starrte ihn an.
„Was? Warum…“
„Gott,
Edward, ich kenne dich seit 26 Jahren“, gluckste er, „ich weiß, was in
dir vorgeht, also … was ist passiert?“ Er lächelte mich liebevoll an,
und dieses Lächeln war so warm und herzlich, dass ich es tatsächlich
schaffte, ihm von meinen Problemen zu berichten.
„Du weißt doch, dass Isabella diejenige ist, mit der
ich in dieser verhängnisvollen Nacht stundenlang gevögelt habe?“ Er
nickte. „Gut. Nun, Jazz, es hat sich – sehr zu meinem Leidwesen – etwas
verändert, was sich nicht verändern hätte dürfen“. Er sagte kein Wort,
hörte einfach zu und machte eine Handbewegung, wonach ich einfach
weitersprechen sollte, und das tat ich auch. „Okay, also raus damit –
Ich denke, ich bin auf dem besten Wege, mich in die Verlobte meines
Vaters zu verlieben. Toll, oder?“ Jasper kommentierte meine Beichte mit einem leisen „Fuck“, während ich furchtbar nervös wurde und mit meinem Fingernagel kleine goldene Buchstaben von der Hülle der Speisekarte kratzte.
Es
war die Adresse der Pizzeria, die meiner Nervosität zum Opfer fiel, und
als ich gerade bei der Hausnummer angekommen war, meldete sich mein
Bruder wieder zu Wort.
„Du musst dort weg, Edward. Solange du
Isabella immer wieder über den Weg läufst, wird es nicht besser“. Ich
sah ihn an und schüttelte den Kopf. Ja, Herrgott nochmal, ich wusste,
dass er recht hatte, aber ich konnte das nicht. Dann würde ich sie doch
überhaupt nicht mehr sehen, und … oh Man, darum ging es ja.
„Ich weiß“, seufzte ich und senkte den Kopf. „Es ist nur … Scheiße, Jazz, ich mag ihre Nähe, ihren Duft, ihren …“.
„Okay, du bist verliebt. Eindeutig“. Jasper grinste. Sehr witzig, wirklich sehr witzig.
„Schön, dass du das lustig findest“, maulte ich ihn an und eliminierte im Zorn auch noch die Hausnummer auf der Speisekarte. So!
„Tut
mir leid, Bruderherz. Natürlich finde ich das NICHT lustig, aber du
hättest eben deinen Gesichtsausdruck sehen müssen, als du von Isabella
geschwärmt hast. Wärst du eine Trickfilmfigur, hättest du fette,
knallrote Herzchen in den Augen gehabt“. Glucksend legte er für sich und
mich zwei Bierdeckel auf den Tisch, da sich der Kellner mit den Getränken näherte und die mit Bier gefüllten Gläser kurz darauf auf die Untersetzer stellte.
Ich
nahm einen großen Schluck, unterdrückte einen kleinen Rülpser und
funkelte zornig meinen Bruder an, der sich ebenfalls soeben seinem Bier
widmete, gut die Hälfte vernichtete und mit einem genussvollen Stöhnen das Glas wieder weg stellte.
„Hör
mal zu, Edward“, begann er nun, und ich hatte tatsächlich den Eindruck,
dass er mir irgendwie helfen könnte. „Was hältst du davon, wenn wir
zwei uns ein Appartement nehmen, ein Penthouse, oder sowas in der Art.
Immerhin sind wir hoffentlich bald geschieden und endlich frei. Wir
könnten tun und lassen, was wir wollen, niemand wird uns auch nur
irgendwas vorschreiben, unser Geld ausgeben, oder uns hinterher
schnüffeln. Wir werden unsere Luxuskörper regelmäßig auf die Piste
schmeißen, uns die heißesten Hühner aufreißen und uns ein schönes Leben
machen. Na? Was meinst du?“ (Beta-A/N: Dafür!
Elke, kannst du mir noch sagen, wo sie wohnen? Dann kann ich sie besser
stalken. --> Ok, ich verspreche dir auch, dich im Knast zu
besuchen…ganz ehrlich!)
Zugegeben – die Idee war nicht
schlecht. Jazz war ein sehr angenehmer Zeitgenosse, wir verstanden uns
toll. Er war ein total unkomplizierter Mensch, ordnungsliebend, gepflegt
und nicht zu überdreht, also ja, warum nicht?
„Yeah, hört sich gut an, Bruder. Wann geht’s los?“
„Perfekt!!“,
freute er sich und hielt mir sofort die flache Hand senkrecht vor die
Nase, um dagegen zu klatschen, was ich auch tat. „Ich würde sagen, wir
klemmen uns heute noch hinter den Computer und checken den
Wohnungsmarkt. Stress haben wir keinen, also …“, dann sah er mich an und
runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung?“
„Keine Ahnung“. Ich zuckte mit den
Schultern und vergrub mein Gesicht erneut in meinen Händen. Verdammt,
ich wollte doch nicht weg von ihr. Ich würde sie vermissen, wenn ich aus
meinem Elternhaus ausziehen und in Seattle wohnen würde … oh ja,
Cullen, sehr gut. Du vermisst die Verlobte deines Dads!
Gott
sei Dank unterbrach der Kellner meine düsteren Gedanken, indem er zwei
herrlich duftende Pizzas auf den Tisch stellte, ein freundliches „Buon
appetito“ wünschte und wieder in der Küche verschwand.
„Was macht deine Frau?“, fragte ich, um endlich von Isabella abzulenken.
„Ex-Frau“,
kicherte Jazz, und die Stimmung war gerettet. Wir lachten viel, die
Gespräche während des Essens waren locker und leicht. Mein Bruder
erstaunte mich, da er – solange es um Jessica ging – Schimpfwörter aus
dem Ärmel schüttelte, die sogar mich rot werden ließen, und einige Male
wäre ich vor Lachen fast an meiner Pizza erstickt.
Gut
gelaunt und pappsatt verließen wir gegen halb zwei die Pizzeria und
verabschiedeten uns. Jasper fuhr wieder in die Firma zurück und ich? Nun
– ich könnte ja Tanja wieder einmal einen Besuch abstatten, also sank
ich kurz darauf in meinen Vanquish und fuhr die paar Blocks, um meiner
Noch-Ehefrau die Leviten zu lesen. Mein Handy hatte ich natürlich dabei,
also ebenso das pikante Bildmaterial.
„Was machst du denn
hier?“, fragte sie mich kalt, als sie die Tür einen Spalt breit öffnete
und mich von oben bis unten musterte.
„Ich freu mich auch, dich
zu sehen“, log ich, schob sie zur Seite und trat einfach ein. Himmel,
das war immer noch unsere gemeinsame Wohnung, also war es auch mein
Recht, sie zu betreten.
Abweisend und kühl stellte sie sich neben
die Couch, verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue
hoch. „Wenn du meinst, dass alles wieder gut werden würde, hast du dich
getäuscht“, fauchte sie, ließ ihre Augen jedoch sehnsüchtig über meinen
Körper wandern.
„Sicher nicht“, lachte ich sarkastisch auf und griff nach meinem Handy, mit dessen
Hilfe ich sie nun vernichten würde. „Du hast dich ja ziemlich schnell
getröstet, kann das sein?“ Verwirrt starrte mich Tanja an und runzelte
die Stirn.
„Was … wie meinst du das?“
„Nun, wenn man mitten
in einer Scheidung steckt, sollte man etwas vorsichtiger sein und sich
nicht von irgendwelchen Typen an schmalen Hauseinfahrten befummeln und
küssen lassen“. Yeah, wie geil. Völlig perplex keuchte sie auf,
schüttelte den Kopf und fiel erschöpft auf die Couch.
„Es ist nicht so, wie du denkst“.
„Ach ja? Das war doch ziemlich eindeutig, meine Liebe“, erwiderte ich grinsend und setzte mich neben sie.
„Du hast keine Beweise“, murmelte sie, hatte jedoch einen ziemlich nervösen Unterton in der Stimme, der sie bereits verriet.
„Oh
doch, das habe ich, Tanja“, widersprach ich, öffnete den Foto-Ordner,
den ich eigens für sie angelegt hatte und zeigte ihr, wovon ich sprach.
„Fuck“,
flüsterte sie und begann, nervös in ihrem Haar herum zu fummeln. „Hör
mal, Edward. Ja, ich gebe es zu, es gibt da jemanden. Er heißt Bob, und
wir treffen uns seit drei Tagen. Es ist … nun, es hat uns erwischt, ich
kann und werde es nicht leugnen. Bob ist Brite, lebt in London und hat
mich bereits gefragt, ob ich mit ihm kommen würde“. Boah, das ging aber fix.
„Und
du denkst nicht, dass dies alles ein bisschen zu schnell gehen könnte?“
Plötzlich änderte sich die Stimmung und aus dem zerstrittenen und von
einander angewiderten Ehepaar Cullen wurden zwei Freunde, die ihrer Wege
gingen – getrennt. „Bist du dir sicher, dass du sogar den Kontinent
wechseln willst, um mit ihm zusammen zu sein? Wirklich, Tanja?“
„Ja, Edward. Auch, wenn es seltsam klingt, aber wir lieben uns“. Sie seufzte tief und lächelte mich an. „Ich bin also mit der
Scheidung einverstanden. Lass uns das so schnell wie möglich erledigen,
ja? Ich stelle keinerlei Ansprüche und werde bald die Vereinigten
Staaten verlassen. Du kannst natürlich das Appartement behalten, ich
brauch es ja nicht“. Verdammt, was für eine geniale Wende? Erleichtert
sank ich nach hinten und grinste meiner Noch-Frau ins Gesicht.
„In
Ordnung“, murmelte ich zufrieden, „dann werde ich mal bei Gericht
anrufen und einen Termin für eine einvernehmliche Scheidung beantragen“.
„Mach
dir keine Mühe, das hab ich schon“. Erstaunt sah ich sie an. „Kommenden
Dienstag, 11.30 Uhr, dann ist es vorbei. Bob hat bereits für
Dienstagabend zwei Flüge nach London gebucht“.
„Wow…“, flüsterte
ich und fiel ihr um den Hals. Ich konnte einfach nicht anders. Wie sehr
hatte ich mich vor einer widerlichen Scheidung gefürchtet, in welcher
tonnenweise Schmutzwäsche gewaschen worden wäre, doch alles löste sich
in Wohlgefallen auf. „Ich wünsch dir wirklich alles Gute“, flüsterte ich
an ihrem Hals, überglücklich, mir eine schlimme Schlammschlacht erspart
zu haben.
Dann ließ ich sie los, drückte ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn, erhob mich und ging zur Tür.
„Edward?“
Ich hielt inne, drehte mich um und sah Tanja an. „Diese Kratzer in
deinem Nacken – wirst du mir jemals sagen, wer das war?“ Ich schluckte
und schüttelte den Kopf.
„Nein, das … das werde ich nicht, es tut
auch nichts zur Sache“, erwiderte ich kühl, versprach, am Dienstag
pünktlich bei Gericht zu erscheinen und verließ fast panisch die Wohnung
– MEINE Wohnung. Fuck, wie geil.
Während ich ausgesprochen
gut gelaunt die Treppe nach unten lief, drückte ich die Kurzwahltaste
zwei und erzählte Jazz von den vergangenen Minuten, die mein Leben in
ein perfektes Licht rückten und mir ein Dauergrinsen auf das Gesicht
zauberten. Die Suche nach einem Appartement hatte sich somit auch erübrigt, und überglücklich fuhr ich nach Forks.
Laut
pfeifend kickte ich hinter mir die Haustür zu, schmiss gekonnt meine
Lederjacke auf den Garderobehaken, schlüpfte aus meinen Chucks, ging in
die Küche und holte mir ein Bier. Das musste doch gefeiert werden, oder
etwa nicht?
„So gut gelaunt?“, fragte mich Dad, der soeben
hektisch durch die Tür geschossen kam und nervös seinen Blick durch den
ganzen Raum gleiten ließ.
„Yeah. War eben bei Tanja. Sie
hat sich in einen Briten verliebt und wird nach einer einvernehmlichen
und harmlosen Scheidung am kommenden Dienstag mit ihm
die Staaten verlassen“. Grinsend öffnete ich die Flasche und nahm einen
großen Schluck des kühlen Blonden, welches sogleich göttlich durch
meine Kehle prickelte und seinen Weg in den Magen fand.
„Hey, das ist ja fantastisch“, jubilierte Dad, war aber noch immer verflucht nervös.
„Suchst du etwas?“, fragte ich, voll in der Gewissheit, ihm zu helfen, was immer es auch war.
„Ja,
meine Schlüssel“, erwiderte er. Gerade, als ich wissen wollte, warum er
sie denn so dringend brauchte, fuhr er fort. „Ich muss weg, Edward. Ein
Kollege von mir, der eigentlich zu einem Seminar nach New York fliegen
sollte, hatte einen Autounfall und fällt für längere Zeit aus. Also muss
ich das wohl übernehmen und werde für eine Woche weg sein. Ah, da sind
sie ja“. Erleichtert griff er nach seinem Schlüsselbund, der sich auf
der kleinen Kommode unter dem Fenster befand und steckte ihn ein. „Ach,
Sohn, ich hätte eine Bitte an dich“. Mit einem flehenden Ausdruck in den Augen starrte er mich an und legte seine rechte Hand auf meine Schulter.
„Ich
weiß, dass du und Isabella euch nicht wirklich prächtig versteht“,
Gott, wenn er wüsste…, „aber ich bitte dich, hier zu bleiben. Mir ist
klar, dass du mitten
in der Scheidung steckst und irgendwann ausziehen wirst, aber nicht
jetzt. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, Bella allein in diesem
großen Haus zu lassen, also bitte – tust du mir diesen Gefallen?“ Mit einer kleinen Portion schlechten Gewissens schaute er mich an und wartete gespannt auf meine Reaktion.
Und was genau sollte ich nun sagen? ‚Bitte Dad, tu mir das nicht an, denn ich habe das Gefühl, dass ich in dieser Woche mit deiner Verlobten im Bett landen werde‘, oder sowas in der Art? Ich leerte mit einem einzigen, gierigen Schluck meine Flasche und stellte sie weg.
Andererseits
wollte ich aber auch nicht, dass er sich in New York ständig Sorgen um
Isabella machen müsste, also wusste ich rasch, wie ich antworten sollte
und tat es dann auch.
„Natürlich, mach dir keine Sorgen.
Ich werde auf alle Fälle hier bleiben, bis du wieder nach Hause kommst.
Wenn du wieder da bist, werde ich mit Jazz in mein Appartement ziehen und euch Turteltauben eurer Zweisamkeit überlassen“. Toll, und nun war mir schlecht.
„Sehr
gut, vielen Dank, mein Sohn. Ich wusste doch, dass ich mich auf dich
verlassen kann“. Er umarmte mich kurz, klopfte väterlich auf meinen
Rücken und löste sich wieder von mir. „Ich muss los, mein Flug geht in
einer Stunde“
„Soll ich dich zum Flughafen bringen?“,
fragte ich, doch er bedankte sich und winkte ab, da er selber fahren
wollte. Raschen Schrittes eilte er in den Flur, wo Isabella bereits mit einem traurigen Gesichtsausdruck auf ihn wartete und mir einmal mehr die Luft zum Atmen nahm.
Sie
trug ein schlichtes, schwarzes, beinahe bodenlanges Kleid, welches mich
irgendwie an einen Schlauch erinnerte. Es hatte lediglich schmale
Spaghettiträger und auch sonst keine optischen Ablenkungen, aber es
schmiegte sich an diesen wundervollen Körper wie eine zweite Haut und
brachte ihre gottverdammten Kurven so zur Geltung, dass ich mich
wirklich bemühen musste, meinen Blick von ihr zu nehmen.
„Ich werde dich vermissen, Liebes“, flüsterte er, stellte sich vor sie und küsste sie mit einer Leidenschaft, die mir ein wirklich übles Gefühl im Magen bescherte. Mit zusammengekniffenen
Augen drehte ich mich weg, fummelte auf einem Bild an der Wand herum
und wandte mich wieder den beiden zu, als sie sprachen und ich sicher
sein konnte, dass die Küsserei beendet war.
„Ich dich
auch“, erwiderte Isabella leise, drückte ihm einen letzten, kleinen Kuss
auf den Mund und nach einem „Bye, Sohn, bis in einer Woche“ waren wir
allein.
Kaum hatte Dad das Haus verlassen, erfüllte sich die Luft mit einem
Knistern, welches sich beinahe so anfühlte, wie jenes im Fahrstuhl,
kurz bevor ein Blitz ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Wir standen ganz
bestimmt fünf Meter voneinander entfernt – sie neben der Haustür, ich am
Flur Richtung Küche, und doch fühlte ich eine elektrische Spannung, die
mich unruhig werden ließ.
Verdammt, Dad hatte vor nicht
einmal zwei Minuten das Haus verlassen, und wir standen uns gegenüber
wie zwei Raubtiere, die jeden Moment übereinander herfallen würden. Wenn
das die ganze Woche so wäre, müssten wir wohl unweigerlich im Bett
landen. Früher oder später könnten wir diesen Drang nicht mehr zügeln
und würden dort weitermachen, wo wir im Fahrstuhl aufgehört hatten …
Fuck.
„Isabella, ich …“, ergriff ich wichtiger weise das Wort,
hatte aber eigentlich keine Ahnung, was ich eigentlich sagen sollte.
Also schüttelte ich nur leicht den Kopf, ignorierte dieses heiße
Kribbeln, welches längst von meinem Körper Besitz ergriffen hatte, und
ging langsam zur Treppe, die zu meinem rettenden Zimmer führte. Gott,
ich musste ihr widerstehen, durfte die Abwesenheit meines Vaters nicht
ausnutzen, Himmel, ich musste hier weg. Aber schnell.
Gerade, als
ich die Treppe nach oben stürmen wollte, machte sie einen geschmeidigen
Satz nach rechts, sprang auf die dritte Stufe und versperrte mir den
Weg. Völlig perplex stand ich vor ihr und starrte sie an. Unsere
Gesichter waren auf gleicher Höhe, und ihr unvergleichlicher Duft stieg
mir in die Nase, als sie zu sprechen begann.
„Was ist los? Warum flüchtest du vor mir? Was hab ich dir getan?“, überschüttete sie mich mit Fragen, die ich absolut nicht beantworten wollte, also blieb ich stumm. „Sprich mit mir, Edward … Bitte …“ Ihre Stimme wurde immer leiser und brach.
„Geh
weg“, war leider Gottes alles, was ich über meine zittrigen Lippen
brachte, obwohl mein Körper etwas anderes sagte. Er verzehrte sich nach
diesem göttlichen Weib, wollte sie schmecken, riechen, fühlen. Meine
Hände wollten sich auf diese gottverdammt sexy Taille legen, sich in
ihrem Haar vergraben, ihre prallen Brüste massieren … doch sie durften
nicht.
„Nein!“. Sie spreizte ihre Beine über einen Großteil der
Stufe, sodass sich dieses schwarze Kleid über ihre perfektenBeine
spannte, verschränkte die Arme vor ihrer Brust, zog eine Augenbraue hoch
und wirkte plötzlich so stark, dass eine unheimliche Angst meine Atmung
blockierte.
„Was soll das? Lass mich vorbei“, forderte
ich, unterdrückte diese seltsame Angst und krallte schnaufend vor Wut
meine Hände in das Geländer. Mein Herz pochte mir bis zum Hals, und
unbändiger Zorn brodelte durch meine Venen, als ich sie keuchend
anstarrte und jeden Moment damit rechnete, dass sie zur Seite weichen würde, doch sie tat es nicht.
„Nein!“, sagte sie wieder und schüttelte den Kopf. „Sprich mit mir,
dann lass ich dich gehen. Wohin du willst – auch wenn dich deine
Schritte zu Leah führen“. Seufzend senkte sie den Kopf, vermied
jeglichen weiteren Blickkontakt, und ich bemerkte deutlich, dass sie
nach den letzten Worten zu zittern begann.
Meine Finger
taten bereits weh, krallten sich so heftig in das Holz des Geländers,
dass ich nur noch darauf wartete, ein Splittern zu spüren, doch dann gab
ich auf. Sie hatte ja recht, Herrgott nochmal, mein Abgang aus dem
Waschraum war wirklich nicht die feine englische Art. Aber was sollte
ich ihr denn sagen? Die Wahrheit?
„Gut, dann komm“,
flüsterte ich, grinste, nahm sie an der Hand und zog sie nach oben.
Kurz, bevor ich sie in mein Zimmer zerren wollte, fiel mir ein, dass
sich darin ein großes Bett befand. Nicht gut. Ich runzelte die Stirn,
machte kehrt, ging mit ihr
wieder die Treppe nach unten und … nein, nicht ins Wohnzimmer, die
Couch… Letztendlich drückte ich sie auf einen Stuhl in der Küche, nahm
ihr gegenüber Platz und versuchte, ruhig und ausgeglichen zu wirken,
doch es gelang mir irgendwie nicht.
Ein amüsiertes Lächeln
huschte über ihr Gesicht, doch sofort war sie wieder ernst und fixierte
mich. Isabella stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte ihre
Finger und legte abwartend ihr Kinn darauf. „Also – ich höre?“
Ich holte tief Luft, hielt sie kurz an und stieß sie schwallartig wieder aus.
„Nun …“, Scheiße, und jetzt? Ach, raus damit. „Du weißt, dass du eine anbetungswürdige Frau bist, und dir ist auch bewusst, wie sehr ich den Sex im Fahrstuhl mit dir
genossen habe. Es war fantastisch, Isabella, aber wie gesagt, es WAR.
So vieles hat sich geändert, und es gefällt mir nicht. Du hast deine
Wahl getroffen und wirst meinen Vater heiraten, während ich …“, ich
senkte meinen Kopf, wollte ihre Augen nicht mehr sehen, „…Himmel,
Isabella…“, nuschelte ich gegen die Tischplatte und spürte mein Herz,
welches jeden Moment drohte, in meiner Brust zu implodieren. „Meine
Gefühle für dich, auch sie haben sich verändert. Es sind nicht nur der
Sex und dein wundervoller Körper, die mich so unendlich anziehen, denn
das bist mittlerweile … DU, und das macht mich kaputt. Ich kann damit nicht umgehen, und genau deshalb werde ich dieses Haus verlassen und mit Jazz
in mein Appartement ziehen, sobald Dad wieder hier ist. Ich ertrage
diese ganze Scheiße nicht mehr und werde mich von dir fernhalten, so gut
es eben geht“.
Langsam hob ich meinen Kopf, schaute in
ihre Augen und erstarrte, als ich Tränen darin glitzern sah. Verdammt,
warum weinte sie? Sie verwirrte mich so sehr, dass ich sie einfach nur
anstarrte und darauf wartete, ihre Stimme zu hören, doch sie sagte …
nichts. Kein Wort.
„Warum genau weinst du jetzt?" Sie schwieg. "Fuck, Isabella, nun sprich mit mir. Ich habe dir gesagt, was Sache ist, also bitte – tu du es auch“.
„Bitte geh nicht weg“, flüsterte sie und kämpfte erfolglos gegen ihre Tränen an.
„Ich
muss“, erwiderte ich leise und senkte neuerlich den Kopf. „Ich kann so
nicht weitermachen, denn irgendwann bin ich zu schwach und kann dir
nicht mehr widerstehen. Aber verdammt…“, ich schaute sie an und schlug mit den
Händen fest auf den Tisch, „ … es darf nicht sein, verstehst du? Ich
liebe meinen Dad, und du liebst ihn auch. Also ist wohl alles klar,
oder? In dieser Woche werde ich versuchen, mich so gut wie möglich von
dir fernzuhalten, und dann werde ich gehen. Das ist mein letztes Wort,
Isabella, es tut mir leid“.
Kaum hatte ich ausgesprochen, klingelte mein Handy. Ich zog es aus meiner Jeans und hob ab.
„Hi Edward, hier ist Leah“. Leah?? Woher zum Teufel hatte sie meine Nummer?
„Dein
Dad hat mir deine Nummer gegeben, er meinte, du hättest sicher nichts
dagegen, nachdem du ja so schnell aufgebrochen bist und wir nicht mehr
dazu gekommen sind, sie selbst auszutauschen“. Okay, somit hätten wir das auch besprochen.
„Oh,
schon in Ordnung. Hi, Leah“, erwiderte ich und sah, dass Isabella bei
der Erwähnung dieses Namens zusammenzuckte und förmlich in sich
zusammenfiel. „Wie geht’s?“
„Geht gut, vielen Dank. Ich
wollte dich nur fragen, ob wir uns heute Abend sehen könnten. Ich meine,
natürlich nur, wenn du das willst“. Wollte ich denn? Nein, nicht
wirklich. Auf der anderen Seite wollte ich aber auch nicht die Zeit mit meiner … Mom verbringen, also, was sollte ich tun?
„Tut mir leid, Leah, aber heute kann ich nicht. Ich habe meinem Bruder bereits versprochen, den Abend mit ihm
zu verbringen, ein anderes Mal gern“, log ich und merkte, dass Isabella
sich entspannte. Ich sah sie an und verschmolz für einen kurzen
Augenblick mit ihren wundervollen Augen, die mich mit so
einer tiefen Sehnsucht fixierten, dass ich froh war, nicht gestanden zu
haben, da ich sicher weiche Knie bekommen hätte nach diesem Blick.
Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass sie ähnlich für mich fühlte,
wie ich für sie. Aber warum sagte sie dann nicht die Hochzeit ab und
entschied sich für mich, Herrgott nochmal? Was um alles in der Welt
verstand ich an dieser ganzen Scheiße nicht?
„Edward? Bist du noch da?“
„Ja,
natürlich, entschuldige bitte. Also, Leah, ich muss dann los. Du hast
ja nun meine Nummer. Melde dich wieder, sonst ruf ich dich an, in
Ordnung?“
„Gut. Ich würde mich freuen, wenn ich wieder etwas von
dir hören würde“, schnurrte Leah ins Telefon, und nach einem fast ein
wenig zu kalten „Bye“ legte ich auf. Nachdem ich das Handy auf den Tisch
gelegt hatte, fuhr ich mir einmal fest über das Gesicht und lenkte
meinen Blick auf Isabella, die irgendwie erleichtert wirkte und
lächelte.
Minutenlang saßen wir in der Küche und schwiegen uns
an. Kein einziges Wort kam über unsere Lippen, und irgendwann stand ich
auf. Es war kurz nach vier, als ich das dringende Gefühl verspürte, von
hier verschwinden zu müssen, also ging ich in den Flur und schlüpfte
hektisch in meine Chucks.
„Wo gehst du hin?“. Ich hörte Bellas nackte Füße, die über den Parkettboden tapsten und mir folgten.
„Keine Ahnung“, erwiderte ich ehrlich und zuckte mit den Schultern. Ich wusste wirklich nicht, wohin genau ich flüchten sollte, doch eines war mir klar - ich musste weg.
„Bitte
bleib hier“, bat sie leise und nahm mir die Lederjacke aus der Hand,
die ich soeben vom Haken genommen hatte. „Ich koche was Feines und wir
machen uns einen gemütlichen DVD-Abend, ja? Wie … Mutter und Sohn“. Dann
begann sie, entzückend zu kichern und lachte sich kurz darauf schlapp.
Ich stimmte mit ein, empfand ihren Vorschlag für gut und entledigte mich wieder meiner Chucks.
Isabella
blühte in den nächsten eineinhalb Stunden förmlich auf, zauberte ein
ausgezeichnetes Risotto, deckte liebevoll den Tisch und verwöhnte mich,
wie meine … Mom. Bei diesem Gedankten lachte ich laut auf, schob mir
genüsslich den letzten Rest dieser wunderbaren Mahlzeit in den Mund und
grinste in das Gesicht meines verwirrten Gegenübers.
In kurzen
Worten erklärte ich ihr den Grund meines Lachens, und sie schloss sich
mir an. Die Stimmung war einfach fantastisch, alles lief bestens, und
ich war wirklich froh, nicht das Weite gesucht zu haben. Gemeinsam
räumten wir das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, putzten die
Küche, schnappten uns zwei Bier aus dem Kühlschrank und schmissen uns
kurz darauf bestens gelaunt auf die Couch.
Isabella
studierte die DVDs, schrie irgendwann total verzückt „Troja!!“, und ich
stimmte ihrer Wahl umgehend zu. Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie
damit, von Brad Pitt zu schwärmen, während ich, ja, ich gebe es zu, von ihr schwärmte.
Diese
Frau war wahnsinnig leidenschaftlich, impulsiv und begeisterungsfähig.
Ihre Arme und Beine flogen bei den Kampfszenen durch die Luft, als wäre
sie live dabei, sie fluchte wie ein alter Matrose, und heulte wie ein
Schlosshund, als Achilles von Paris‘ Pfeil niedergestreckt wurde und
starb.
Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich sie
anhimmelte, jedes einzelne Wort von ihr aufsaugte und jede Bewegung
speicherte, um jederzeit darauf zurückgreifen zu können, wenn ich …
Gott, ich würde sie vermissen.
Aus einem Bier wurden fünf, und
ziemlich besoffen packten wir nach dem Ende des Films die zehn leeren
Flaschen und räumten sie weg. Glucksend und nicht mehr ganz Herr über
unsere Sinne standen wir nun vor der Treppe und wussten nicht, wie es
weitergehen sollte.
„Danke für den netten Abend“, sagte sie
leise, schaute mich durch ihre dichten, tiefschwarzen Wimpern an und
lächelte so bezaubernd, dass sie mir damit ein tiefes Seufzen entlockte.
„Ja…“,
hauchte ich, nicht fähig, einen vollständigen Satz über meine Lippen zu
bringen. Der Alkohol vernebelte mein gesamtes Denken, und irgendwie
begann ich zu überlegen, was denn eigentlich dagegen sprechen würde,
wenn ich mir nähme, was ich wollte. Gott, ich sehnte mich so sehr nach
ihr, und ich hätte wirklich alles gegeben, wenn ich sie einfach packen,
über meine Schulter werfen und auf mein Bett hätte fallen lassen können,
doch … Dad.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht, Isabella. Träum was Schönes“, dann ließ ich sie einfach stehen und ging seufzend nach oben.
„Also
von dir …“, sagte sie laut und deutlich, und ich erstarrte. Langsam
drehte ich mich um und sah sie nur an. Hier war sie wieder – diese
Sehnsucht in ihren Augen, und sie machte mich schwach.
„Wenn
ich dich schon nicht haben kann, lass mich wenigstens von dir träumen“,
fügte sie nun leise hinzu, betrat die Treppe, drängelte sich an mir
vorbei, sodass ich ihren Körper spüren und ihren wundervollen Duft
riechen konnte, und verschwand mit einem
gehauchten „Gute Nacht“ in ihrem Zimmer. Nein, im dem meines Dads,
welches nun auch ihres war. Darin befand sich auch ein Bett, aber in
einem Monat wäre es das nicht mehr, sondern ein EHEbett.
„Fuck“,
maulte ich in die abendliche Stille, schleppte mich mühsam nach oben,
öffnete meine Tür, schmiss sie wütend hinter mir zu und ging
schnurstracks ins Bad.
Dort genehmigte ich mir eine heiße Dusche,
trocknete mich fein säuberlich ab, putzte mir die Zähne, kuschelte mich
kurz darauf müde in mein Kissen und deckte mich zu.
Gegen Mitternacht
wälzte ich mich noch immer hin und her, konnte dieses ganz bestimmte
Plätzchen im Bett einfach nicht finden, welches mich sanft
entschlummern ließ.
‚Hol sie dir, Tiger‘,
schnurrte dieser beschissene Teufel unaufhörlich in meinem Kopf, doch
ich blieb stark. Zur Hölle, Dad war gerade mal ein paar Stunden weg, und
dieser Krieg – Herz gegen Verstand – tobte bereits so heftig in mir,
dass ich keinen Schlaf finden konnte? Fantastisch.
Mit einem
angepissten „Halt die Klappe, du Arsch“ legte ich mich auf den Bauch,
streckte die Beine weit von mir und machte endlich das, wonach ich mich
so sehr sehnte. Schlafen …
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