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Dienstag, 7. Februar 2012

(26) Erst der Sturm ...





Donnerstag, 13. September 2009


„Man, Jazz, ich mach mir gleich in die Hosen, ich schwörs“, murmelte ich hin und her zappelnd, als wir im dritten Stock des ‚Four Seasons‘ standen und kurz davor waren, an die Tür mit der Aufschrift '311' zu klopfen. Mrs. Washington aka Elena Rizzante logierte hier, und die Stunde der Wahrheit war nun gekommen.

„Krieg dich wieder ein, Bro. Sie weiß, aus welchem Grund wir hier sind, also – ganz ruhig, ja? WIR haben nichts zu verlieren, vergiss das nicht“. Ich nickte zwar, war aber noch immer sowas von nervös, dass ich am liebsten laut schreiend davon gerannt wäre. Ich hasste es, Mom wissentlich verletzen zu müssen, und der ganze perfekt ausgeklügelte Plan lag mir schwer im Magen. Natürlich war mir klar, dass wir keine andere Möglichkeit hatten, unsere Mutter davon zu überzeugen, die Finger von diesem Arschloch zu lassen, aber dennoch – es tat weh.

„Gib mir noch fünf Minuten, ich halt das nicht aus“, sagte ich hastig, drehte mich um und lief den Gang entlang. Irgendwo müsste ich doch diese scheiß Toiletten finden, verdammt.

Jazz lachte leise über meinen unrühmlichen Abgang, doch das war mir egal. Leider Gottes hatte ich diese Gewohnheit schon immer und musste heftig pissen, wenn ich aufgeregt war.

Freudestrahlend fand ich, wonach ich suchte, verrichtete mit einem genussvollen Seufzen mein Geschäft, spülte, wusch mir die Hände und setzte mich für einen Moment auf eine kleine, rot gepolsterte Bank, die sich neben dem Waschbecken befand.

Fuck, die Ereignisse überschlugen sich in den letzten Tagen und wurden mir zu viel. Ich stützte meine Ellenbogen auf die Knie und fuhr mir fest über das Gesicht. Ich hatte Angst vor Mom's Reaktion auf die ganze Scheiße hier, Angst vor Dad, Angst vor dem Treffen heute Abend... Oh yeah, ich mutierte zu einem kleinen Hosenscheißer, doch auch das war mir egal.

Was mich an diesem schicksalsträchtigen Tag ebenso fertig machte war die Tatsache, dass Dad mein Mädchen heute groß ausführen wollte, denn ja, es blieb dabei. Mein Vater war nach wie vor in einer sehr seltsamen Stimmung, hatte bisher nicht mit Bella gesprochen, und niemand von uns hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, wie es weiterging. Dieses Gefühl war einfach die Hölle, und ich wusste absolut nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Dad kam laut Bellas Erzählungen in den letzten Tagen kaum nach Hause, vergrub sich in jeder Menge Arbeit und schlief sogar eine Nacht im Büro. Verdammt, wenn ich nur wüsste, was vor sich ging. Warum schwieg er? Hatte er nicht den Mut, mit seiner Frau zu sprechen? Aus welchem Grund ging er ihr aus dem Weg? Sie hatte ihn schon mehrmals gebeten, sich zu ihr zu setzen, um ein klärendes Gespräch zu führen, doch er blockte jedes Mal ab.

Offensichtlich war die Ehe von Bella und meinem Dad zu Ende, aber was hinderte ihn daran, mit ihr zu reden, Herrgott noch mal?? Dieser ganze Scheiß machte mich fast wahnsinnig, und ich wäre zu gerne bei diesem Essen heute dabei, aber meine Pläne waren anderer Natur. Abgesehen davon käme es wohl nicht sehr gut, wenn ich mich neben die beiden setzen und blöd von einem zum anderen glotzen würde. Fuck.

Wie dem auch sei - wir gingen davon aus, dass es heute Abend ein Gespräch zwischen den beiden geben würde, und es pisste mich an, dass ich nicht bei ihr sein konnte. Ich hasste es, wenn mein Mädchen weinte, ertrug es nicht, wenn sie traurig war. Ich hoffte aus ganzem Herzen, dass wir uns heute noch sehen könnten, doch nun zählte erst mal Mom. Also los.

Mit einem unwilligen Ächzen stand ich auf, versuchte wieder einmal absolut sinnlos, mein Haar zu bändigen, verließ die Toiletten und schlenderte zurück zu Jazz. Mein Brüderchen lehnte mit einem amüsierten Grinsen im Gesicht an der Wand neben Mrs. Rizzantes Tür und machte einen auf cool, doch das konnte ich auch.

Ich lief zu ihm, bedachte ihn mit einem ätzenden Blick, holte tief Luft und klopfte gegen das edle, dunkelbraune Holz. „Auf in den Kampf“, nuschelte ich dabei leise, was Jazz lediglich dazu brachte, glucksend die Augen zu verdrehen. Fuck, warum war er bloß so dermaßen ruhig, während ich kurz davor war, zu hyperventilieren?

Es dauerte keine zehn Sekunden, bis die Tür langsam geöffnet wurde und die Rivalin unserer Mutter vor uns stand. Sie war nicht wirklich groß, hatte schulterlanges, dunkelbraunes Haar und große, ebenso dunkle Augen, die mich stark an meine Süße erinnerten. Sie war sehr schlank, hatte ein schmales und beängstigend blasses Gesicht und wirkte sehr sympathisch auf mich. Aber diese Augen ... sie sprachen Bände. Sie hatte wohl viel geweint in der letzten Zeit.

„Edward und Jasper Cullen?“, fragte sie, fummelte fahrig an ihrem dunkelblauen Kostüm herum und blickte aufgeregt  zwischen Jazz und mir hin und her. „Ja, Ma'am. Ich bin Edward“, erwiderte ich höflich und streckte ihr meinen Arm entgegen. Sie schüttelte meine Hand, tat das Gleiche mit Jasper und trat ein paar Schritte zur Seite. Kommentarlos machte sie eine ausschweifende Handbewegung und bat uns damit herein.

Für ein paar bedrückende Sekunden standen wir schweigend im Zimmer, nicht wissend, was wir nun tun oder sagen sollten, doch Mrs. Rizzante brach die Stille, und ich war unglaublich froh.

„Nehmen Sie bitte Platz“, sagte sie leise, deutete auf einen sehr teuer wirkenden Tisch, der sich an der linken Wand befand und setzte sich aufs Bett, da lediglich zwei Stühle zur Verfügung standen. Plötzlich war sie furchtbar traurig, Tränen glitzerten in ihren schönen, aber irgendwie verdammt leeren Augen, und sie fuhr sich nervös durchs Haar.

„Vielen Dank“, murmelte Jazz, und wir setzten uns hin. Ein gottverdammt deprimierendes und unangenehmes Schweigen legte sich über den Raum. Niemand von uns wusste, wie er diese Stille brechen und was er sagen sollte, also starrten wir uns nur an.

Gefühlte Stunden später erhob sich Mrs. Rizzante und begann, vollkommen aufgelöst in ihrem Zimmer hin und her zu laufen. Immer wieder fuhr sie sich nervös über den Nacken, wischte sich die Tränen aus den Augen und suchte unseren Blick, doch sprechen konnte sie offenbar noch nicht.

„Es tut uns sehr leid, dass...“, erhob nun Jasper endlich das Wort, doch sie blieb sofort stehen, hob die Hände und brachte meinen überraschten Bruder somit zum Schweigen.

„Nein, MIR tut es leid“, sagte sie und senkte den Blick. Seufzend lehnte sie sich gegen die Fensterbank und lächelte uns wehmütig an. „Ich kenne Ihre Mutter natürlich nicht, aber mein Herz tut weh bei dem Gedanken, was sie wegen meines Mannes bald mitmachen muss. Dieses Schwein hat es immer wieder geschafft, mich um den Finger zu wickeln...“, und nun wurde sie wütend. Ihre Augen schossen Blitze des Zorns, der Wut und Enttäuschung durch den Raum, während sie die Arme vor der Brust verschränkte und seltsam leer vor sich hin starrte.

„Mach dir keine Sorgen, Liebes...“, sagte sie mit einer verstellten, tiefen Stimme und spottete damit ihrem Mann, „...es läuft nichts mit diesen Frauen. Mit keiner von denen. Esme Cullen ist genauso eine Geschäftspartnerin wie alle anderen. Ich liebe nur dich, und das weißt du“. Dann schüttelte sie den Kopf und lachte, doch dieses Lachen jagte uns einen Schauer über den Rücken. Es triefte vor Sarkasmus und Hass und war dermaßen kalt, dass ich mir direkt einbildete, die Raumtemperatur wäre gesunken.

Dann kratzte sie wohl ihre letzte Würde zusammen, reckte stolz das Kinn und schaute uns an. „Natürlich habe ich sofort die Scheidung eingereicht, aber Paolo weiß noch nichts davon. Ich werde es ihm heute Abend sagen. Die Zeit ist reif“. Nach diesen Worten wirkte sie noch trauriger als zuvor und wendete schluchzend den Blick von uns ab.

Ich riss meinen Kopf zu Jazz, nicht wissend, wie wir ihr helfen sollten, doch dieser wusste genauso wenig wie ich. Er zuckte lediglich mit den Schultern und runzelte die Stirn. Nach einem kurzen Augenblick erhob ich mich dann aber doch, ging langsam auf Mrs. Rizzante zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Auch wenn es jetzt sehr weh tut, werden Sie wissen, was richtig ist. Es tut uns furchtbar leid, dass alles so gekommen ist, aber ich bin mir sicher, dass Sie etwas Besseres verdient haben, als dieses...“. Ich stoppte, riss peinlich berührt meine Augen auf und starrte sie an.

„...Schwein! Sprechen Sie es aus, Mr. Cullen. Ich kann damit umgehen“.

„Edward“, bot ich an, und kurz darauf waren wir drei bei den Vornamen angelangt. Sie bat mich, wieder Platz zu nehmen, also tat ich es auch und  fiel seufzend auf den Stuhl.

Elena drehte sich nun wieder von uns weg, weinte eine Weile und richtete ihren trostlosen Blick aus dem Fenster, vor welchem sie stand. Ein paar Minuten hilflosen Schweigens später schüttelte sie plötzlich heftig den Kopf und kam auf uns zu.

„Nun, wie werden wir heute Abend vorgehen? Klären Sie mich bitte auf“. Ihre kalten und leeren Augen schossen fast ein wenig irr zwischen Jazz und mir hin und her, und irgendwie machte sie mir Angst. Ich fühlte ein beklemmendes Brennen in der Brust, hatte den Eindruck, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

Langsam erhob ich mich wieder auf und legte meine Hände auf ihre Schultern. „Setzen Sie sich, Elena“, sagte ich leise, drehte sie zum Stuhl und drückte sie sanft nach unten. Kaum hatte sie Platz genommen, fielen ihre Unterarme kraftlos auf den Tisch, und sie senkte den Kopf. „Tut mir leid“, nuschelte sie unter Tränen, entschuldigte sich für Ihre Schwäche.

Jasper nahm ihre linke Hand in seine, drückte und streichelte sie sanft. „Bitte, Elena – nichts muss Ihnen leid tun. Um Gottes Willen, es ist doch ganz klar, dass Sie das alles hier ziemlich erschüttert. Wir werden Sie heute Abend nicht allein lassen, keine Sorge, aber für uns zählt eben nur eines – wir müssen unsere Mutter schützen, das...“

„Natürlich müssen Sie das“, unterbrach sie Jazz, „bitte rechtfertigen Sie sich nicht“. Sie bedachte uns mit einem sehr liebevollen, aber dennoch furchtbar traurigen Lächeln, holte einmal tief Luft und schaute wieder zwischen uns hin und her. „Also – wie gehen wir vor?“

„Nun...“, begann ich und fuhr mir nervös durchs Haar, während dieses Mal ich  im Zimmer hin und her lief, um mich besser konzentrieren zu können. „...Unsere Mom und ….“, ich zögerte, warf einen mitleidigen Blick auf Elena, fuhr jedoch gleich fort, „...Paolo werden um acht Uhr im 'Wild Ginger' sein. Dort haben wir einen  romantischen Tisch reserviert, um die beiden auf keine falsche Fährte zu locken. Sie, mein Bruder und ich werden bei deren Eintreffen allerdings schon vor Ort sein, nämlich an einem Tisch in der Nähe, der jedoch durch  eine große, üppig wuchernde Palme und einen Raumteiler einen perfekten Schutz bietet, um nicht sofort gesehen zu werden. Wir haben das alles gecheckt, es wird funktionieren“. Sie hörte mir aufmerksam zu, nickte und machte eine Handbewegung, wonach ich fortfahren sollte.

„Natürlich werden wir nicht sofort die Bombe platzen lassen, sondern den beiden etwas Zeit geben, um das eine oder andere Gläschen Wein zu konsumieren, vielleicht ist es dann auch für Mom etwas … leichter“, sagte ich immer leiser werdend und schüttelte traurig den Kopf. Verdammt, ich wollte unsere Mutter nicht verletzen, aber es führte kein Weg daran vorbei.

„Hört sich doch gut an“, sagte sie mit kratziger Stimme und erweckte den Eindruck, als wäre sie weit weg. Fuck, sie tat mir so leid. Elena war eine ausgesprochen nette und sympathische Person, wie hatte sie so eine Ratte bloß verdient?

„Wir werden gegen sieben Uhr bei Ihnen sein, Elena. Sie müssen sich um nichts kümmern, einfach nur stark sein, so gut wie möglich die Ruhe  bewahren und Ihrem untreuen Mann beweisen, dass Sie die Stärkere sind, denn das sind Sie, ganz bestimmt“. Jazz nickte ihr aufmunternd zu und ich fuhr fort.

„Sie sind eine tolle Frau, Elena, und haben es nicht nötig, sich von ihm erniedrigen zu lassen. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie Ihr Glück anderswo finden werden, mit jemandem, der Ihre Liebe verdient und sie auch zu schätzen weiß“. Scheiße, und nun begann sie, bitterlich zu weinen, stand auf und fiel mir um den Hals.

„Danke“, schluchzte sie an meiner Brust, während ich sie umarmte, sanft über ihren Rücken streichelte und verzweifelt zu meinem Bruder sah. Jazz erhob sich nun ebenso und strich beruhigend über Elenas Haar. „Alles wird gut“, sagte er leise und hatte so einen wehmütigen Ausdruck in den Augen, dass ich förmlich fühlte, wie sich mein Herz verkrampfte. „Glauben sie uns, alles wird gut. Auch, wenn es jetzt verdammt weh tut, aber eines Tages werden Sie darüber lachen und Ihr neues Glück genießen. Schicken Sie Ihren Mann in die Wüste, denn dort gehört er hin“. Plötzlich hörte sie auf zu weinen, schniefte ein paar Mal auf, wich ein paar Schritte zurück und lächelte uns zaghaft an.

„Stimmt. Ab in die Wüste mit diesem Schwein“, stimmte sie Jasper zu, wühlte eine Weile in ihrer Handtasche, holte ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. Es schien ihr nun ein wenig besser zu gehen, zumindest weinte sie nicht mehr, als wir uns kurz darauf verabschiedeten und sie noch einmal daran erinnerten, dass wir sie um sieben Uhr abholen würden.

Erleichtert verließen wir das ‚Four Seasons‘, ließen uns in meinen Vanquish fallen und atmeten erst mal tief durch. „Ist doch ganz gut gelaufen“, meinte Jazz, als er sich den Gurt über den Bauch zog und diesen mit einem leisen 'Klick' einrasten ließ.

„Naja, wie mans nimmt. Scheiße, sie tut mir so leid. Elena ist eine tolle Frau und hat diesen Dreckskerl wirklich nicht verdient“, resümierte ich,  startete seufzend mein tiefschwarzes Baby und fädelte mich gekonnt in den fließenden Verkehr.

Kurz vor elf betraten wir mein Büro, und erschöpft fielen wir auf meine Couch. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als zu meiner Bella in den zwölften Stock zu laufen und sie bewusstlos zu küssen, aber sie war nicht da. Geburtstags-Urlaub. Fein. Sie hatte mich auch gebeten, ihr keine SMS zu schicken, da sie die ohnehin sehr angespannte Situation nicht noch mehr überreizen wollte, also tat ich es auch nicht. Außerdem meinte sie, dass sie Dad vielleicht schon vor dem Essen heute Abend zu einem Gespräch überreden könnte, doch ganz ehrlich – ich glaubte nicht daran.

„Pennst du mir jetzt ein, oder was?“, gluckste Jazz neben mir. Ich riss meine Augen auf, wunderte mich, weil ich nicht wusste, wann genau ich sie geschlossen hatte, und starrte ihn erschrocken an.

„Nicht wirklich“, gab ich zurück, „Hab nur grade an Bella gedacht“.

„Oooh“.

„Weißt du, es pisst mich an, dass ich nicht bei ihr bin. Verflucht, sie hat heute Geburtstag und keine Ahnung, wie dieser Abend verlaufen wird. Dad spricht nicht mit ihr, sie weiß nicht einmal, wo sie heute essen werden, nichts. Fuck, irgendwie macht mich dieser Scheiß nervös. Und dann noch die Sache mit Elena...“.

„Heey“, sagte Jazz leise und legte beruhigend eine Hand auf meinen linken Arm. „Ich hab ja auch Schiss vor heute Abend, aber...“

„Hast du?“. Ich riss belustigt meine Augen auf und grinste ihn an.

„Natürlich hab ich“. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Warum denn nicht?“

„Naja, weil du ständig den Coolen raushängen lässt und ich mir schon die längste Zeit vorkomme wie der schwerste Pisser“.

„Bist du auch“, gluckste Jazz und hatte damit einmal mehr die Stimmung gerettet, die sich meinerseits bereits am Tiefpunkt befand. Ich boxte ihm fest gegen den Oberarm, und er rieb laut lachend über die schmerzende Stelle. (Beta-A/N: Wag es nicht, ihn noch einmal zu schlagen. *bösguck* Das darf bloß ich. *hust* --> Also, trotz des AVL-Ratings halt ich jetzt lieber meine Klappe … )

„Jazz?“

„Jup?“

„Danke!“. Er war plötzlich todernst, setzte sich auf und starrte mich an. „Wofür?“.

„Für alles“. Ich zuckte mit den Schultern und lächelte ihn an. „Ich bin so froh, dass ich dich hab, dass du jederzeit für mich da bist und meine deprimierten Labereien über dich ergehen lässt. Die letzten Wochen … die ganze Scheiße wegen Bella und Dad ... meine Sex, Drugs and Rock 'n' Roll-Phase … ich wüsste nicht, wie ich das alles geschafft hätte, ohne dich bedingungslos an meiner Seite zu haben. Danke, Bro, bist der Beste“.

„Ich weiß“, sagte er glucksend, um seine Verlegenheit zu überspielen, doch ich sah ihm an, wie sehr ihn meine Worte berührt und glücklich gemacht hatten. Fuck, ich liebte diesen Typen und … boah, ernsthaft – ich mutierte zur Pussy. Schluss mit dieser Sabberei.

„So, ich schätze, wir machen uns dann mal wieder an die Arbeit“, warf ich trocken ein, um diese kitschige Stimmung zu verdrängen. Jazz nickte wortlos und stand auf. Langsam ging er zur Tür, blieb aber kurz davor stehen und drehte sich zu mir.

„Ich werde immer und jederzeit für dich da sein, Bro, das weißt du. Du musst mir nicht danken, denn das alles ist für mich selbstverständlich. Wir beide sind ein gutes Team, und das werden wir auch bleiben. Bin auch froh, dass ich dich hab“, sagte er leise, lächelte mir zu und verließ mein Büro.

Nach dieser geschwisterlichen Liebeserklärung stürzte ich mich also über die Post, beantwortete Mails, tätigte ein paar Telefonate, vereinbarte einen Termin mit einem potentiellen, schwerreichen Auftraggeber und lehnte mich gegen fünf Uhr Nachmittag zufrieden in meinem Sessel zurück. Ich schloss für einen Moment die Augen, und dann überfiel mich die Panik mit der Wucht einer Abrissbirne. Mein Magen knurrte, da ich zu Mittag keinen Bock und nicht das Bedürfnis hatte, etwas zu essen, und jetzt rächte er sich dafür.

„Klappe“, brummte ich, schwer über die Tatsache verwundert, dass ich schon wieder mit meinem Magen sprach, doch grinsend legte ich meine Hand auf den Bauch, als meine Tür geöffnet wurde und Jasper plötzlich vor mir stand.

„Lass uns dann mal Schluss machen und nach Hause fahren. Wir müssen noch unter die Dusche und uns fertig machen, in zwei Stunden sollten wir bei Elena sein“, stellte er trocken fest, und die Anzahl meiner Herzschläge verdoppelte sich von einer Sekunde auf die andere.

„Okay“, sagte ich leise, seufzte einmal tief, fuhr meinen PC hinunter und stand auf. Ich schaltete alles aus, versperrte mein Büro, wünschte allen noch Anwesenden einen schönen Tag und trottete wie ein schmollendes Kleinkind hinter meinem Bruder her. Fuck, ich wünschte mir so sehr, diesen Abend in versauter Zweisamkeit mit meiner Bella verbringen zu können, ihr einen geschmeidigen Geburtstags-Fick zu verpassen, doch die Realität sah anders aus.

Die Fahrt zu unserem Appartement verlief schweigsam, und sogar mein verkappter Vier-Sterne-General war ungewohnt still. Yeah, nicht nur ich war hier der Pisser, sondern auch er.

„Aufgeregt?“, fragte ich ihn, während ich die Tür zu unserer Wohnung öffnete und meine Schuhe von den Füßen kickte. Mit Schwung schmiss ich meine Lederjacke auf den Garderobehaken, doch sie dachte nicht daran, dort hängen zu bleiben, sondern fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. „Leck mich am Arsch“, fuhr ich sie an … Gott, jetzt sprach ich schon mit meiner Jacke? Was war bloß los mit mir?

„Ja, ich bin aufgeregt“, gab Jasper zu und ich zog überrascht eine Augenbraue hoch. Er gab es zu?? „Aber das ist noch lange kein Grund, diverse Kleidungsstücke zu beschimpfen“, sagte er lachend, verdrehte die Augen, tippte ein paar Mal gegen seine Schläfe und machte sich auf den Weg in sein Bad.

Ohne sein Statement weiter zu kommentieren, schlenderte ich ebenso glucksend in mein Bad, zog mich aus, stellte mich unter die Dusche und drehte das warme Wasser auf. Yeah, das Warme, denn ich hatte es nicht mehr nötig, irgendeine Schuld von mir zu waschen. Abgesehen davon funktionierte es ohnehin nicht.

Grinsend wusch ich mein Haar und seifte anschließend meinen Körper ein. Natürlich war ich gleich schuldig wie zuvor, dennoch hatte sich einiges verändert. Bella und ich standen endlich zu unserer Liebe, und Dad wüsste schon längst Bescheid, wenn er denn nur mit ihr sprechen würde.

Warum tat er es nicht? Immer und immer wieder stellte ich mir diese Frage, doch alles, was dabei raus kam, war eine gerunzelte Stirn und ein ahnungsloses Schulterzucken. Davon ausgehend, heute Abend oder spätestens morgen in der Früh mehr zu wissen, stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und zog mich an. Ich entschied mich für eine schwarze Anzughose, mein dunkelgrünes Hemd und eine schmale, schwarze Krawatte und betrachtete mich eine Weile im Spiegel. Natürlich wollte mein Haar nicht so wie ich, doch das war mir momentan sowas von egal. Wofür, oder besser gesagt, für wen sollte ich mich denn auch schön machen? Meine Bella würde ich heute vermutlich nicht mehr sehen, und sonst fiel mir auch nichts ein.

Ein paar Minuten nach sechs klopfte ich an Jaspers Tür, öffnete sie nach einem lauten „Komm rein!“, und hätte mir fast in die Hosen gepisst. Verdammt, er sah gleich aus wie ich. Jazz trug ebenso dieses dunkelgrüne Hemd, welches wir beide von unserer Mom bekommen hatten. In einem Anflug von unbändigem Kitsch hatte sie uns vor etwa einem Jahr diese Dinger gekauft, weil sie so gut zu unseren grünen Augen passen würden. Schmunzelnd nahmen wir sie entgegen und dankten ihr dafür.

Nun waren wir eben im Partnerlook unterwegs und lachten uns schlapp, weil wir sogar beide diese schmale, schwarze Leder-Krawatte um den Hals gewickelt hatten, aber naja – wir sahen gut aus und fanden diese ganze Situation so dermaßen lustig, dass wir nicht einmal daran dachten, uns umzuziehen, also beließen wir es dabei.

„Ich brauch unbedingt noch einen Whiskey“, stellte ich mit leicht flatternden Nerven fest, nachdem ich einen Blick auf die Uhr gewagt hatte und diese mir sagte, dass noch genügend Zeit wäre, einen Drink zu genießen.  „Gute Idee“, meinte Jazz, und wir schlenderten zur Bar.

Die Minuten verstrichen wie Sekunden, und plötzlich war es halb sieben. Wir mussten los. Mein Herz begann sofort wieder zu rasen, als ich mein Glas in die Spüle stellte und wir kurz darauf auf dem Weg zu meinem Wagen waren. Scheiße, in den nächsten Stunden würden Jasper und ich das Leben unserer Mutter zerstören, und dieser Gedanke machte mich momentan beinahe verrückt.

„Hey, Alter, komm mal wieder runter“, sagte Jazz besorgt, nachdem er sich in den Beifahrersitz fallen ließ und mich aufmerksam musterte. „Du siehst aus, als würdest du jeden Moment ausflippen“. Ich zuckte nur mit den Schultern, seufzte, und mein Kopf sank nach unten. „Edward, hör mir mal zu...“, sagte er nur fordernd und streng. Ich schaute ihn an und wartete ab. „...Ich hab auch keinen Spaß daran, das heute durchzuziehen, aber es gibt keinen anderen Weg, vergiss das nicht. Mom würde niemals auf uns hören, und außerdem hat auch Elena ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Also – beruhige dich und lass uns endlich fahren, ja? Oder soll ich?“

„Nein, nein, ich fahre. Alles gut. Danke, Man“. Ich startete den Wagen und brüllte mich gedanklich an, nicht so ein beschissenes Weichei zu sein. Natürlich liebte ich meine Mutter, aber Jazz hatte recht. Also – Augen zu und durch.

„Guten Abend, meine Herren“, begrüßte uns Elena mit einem sanften Lächeln, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie sah schrecklich aus. Irgendwie kam es mir vor, als hätte sie die letzten Stunden mit Weinen verbracht, doch natürlich sagten wir nichts.

„Hi, Elena“, kam es völlig synchron aus Jaspers und meinem Mund. „Gut sehen Sie aus“, sagte ich charmant wie immer, auch wenn es nicht stimmte, doch das wollte sie sicher nicht hören. Sie trug einen schwarzen,  eleganten Hosenanzug mit einer cremefarbenen, sehr teuer wirkenden Bluse darunter und schwarze Pumps. Eine kleine, ebenso cremefarbene Handtasche steckte unter ihrem Arm und ihr Haar hatte sie gekonnt hoch gesteckt.

„Lügner“, kommentierte sie mein Kompliment, lächelte mich jedoch weiterhin an. „Ich weiß, dass ich absolut scheiße aussehe, aber was solls, ich hab nichts zu verlieren“. Sie senkte den Blick und seufzte. „Denn ich hab schon alles verloren“. Ein leiser Schluchzer kam über ihre bebenden Lippen, doch bevor wir sie hätten trösten können, kramte sie hektisch in ihrer Handtasche herum. Kurz darauf zog sie ein Taschentuch heraus, spannte es über ihren Zeigefinger und tupfte damit an ihren Augen herum. „Nicht jetzt, Herrgott noch mal“, fluchte sie wie ein alter Matrose, und irgendwie war diese ganze Situation so lustig, dass Jazz und ich beinahe gelacht hätten.


Elena entschuldigte sich noch einen Moment und verschwand im Bad, um – wie sie selbst erklärte – ihren Verputz zu erneuern. Kaum war sie weg, konnten wir uns nicht mehr halten und lachten leise vor uns hin. „Die Frau ist genial“, gluckste Jazz. Ich stimmte ihm mit einem Nicken zu, da ich förmlich Angst davor hatte, laut loszubrüllen, wenn ich jetzt auch nur ein einziges Wort sagen würde.

Die ganze Situation war so dermaßen skurril, dass ich dachte, ich müsste jeden Moment durchdrehen. Da war die Angst vor Moms Reaktion, die Traurigkeit von Elena, das Mitleid, das wir für sie empfanden, im Gegensatz zu ihrer lustigen Flucherei und unserem Lachen … einfach krank. Kaum hörten wir jedoch das Klappern von Elenas Absätzen, verstummten wir augenblicklich und richteten unsere Blicke verschämt zum Boden. Sie litt, wir lachten. Toll.


„Dann lassen Sie uns mal aufbrechen“, sagte sie leise und voller Angst, doch ich bewunderte ihren Mut. Das, was sie nun vor sich hatte, würde ihr Leben zerstören. Würde alles zunichte machen, was sie sich in den letzten fünfzehn Jahren mit ihrem untreuen Mann aufgebaut hatte, und dennoch war sie so stark.

„Okay“, murmelte ich, und wenige Minuten später waren wir auf dem Weg zum 'Wild Ginger', wo nun der große Showdown stattfinden und das Herz unserer Mutter gebrochen werden würde. Fantastisch, einfach großartig.




„Guten Abend, kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte uns eine etwas ältere Asiatin, als wir das Restaurant unserer Wahl betreten hatten. Wir erzählten ihr von unserer Reservierung und begaben uns auch sogleich zu dem Tisch, den wir für unsere Aktion auserkoren hatten. Den hinter der Palme und dem Raumteiler. Dort setzten wir uns alle auf einen der schwarz-goldenen Stühle und ich zeigte Elena, wo demnächst unsere Mom und ihr Mann Platz nehmen würden. Der Blick dorthin war für jeden von uns gut getarnt, aber dennoch einwandfrei, also hieß es jetzt erst mal abwarten und Tee – aber sicher nicht!! … Bier trinken.


Ein paar Minuten saßen wir schweigend und DEN leeren Tisch fixierend im Lokal, als eine andere, etwas jüngere Asiatin zu uns kam, um unsere Getränkewünsche zu erfragen.

„Ein Bier bitte“, sagte ich und schaute zu Jazz.

„Ebenfalls, danke“, bestellte mein Bruder. „Elena?“

„Wodka. Pur. Ohne Eis“, forderte sie mit einer düsteren Stimme, während ihre Augen eiskalt und starr Moms und Paolos zukünftigen Tisch fixierten. Gott, sie tat mir schon wieder so leid, dass ich sie einfach nur in meine Arme ziehen und trösten wollte.

„Alles klar? Geht’s Ihnen gut?“, fragte Jasper genau in dem Moment, wo ich sie umarmen wollte und streichelte ihr sanft über den Rücken. Als hätte er sie gerade aus einer anderen Dimension gezerrt, riss sie ihren Kopf in seine Richtung, und ihr Blick wurde weich. „Ja, vielen Dank, es … geht so“.

Ihre Hand zitterte fürchterlich, als sie diese anhob, um auf ihre Uhr zu sehen. Ich tat es ihr gleich und keuchte auf. Es war bereits Viertel vor acht, und die Katastrophe stand kurz bevor.

Die Kellnerin vermochte es kurz darauf, uns wenigstens ein bisschen abzulenken, indem sie die Getränke auf den Tisch stellte und mit einem freundlichen Lächeln in die Runde fragte, für welche Gerichte wir uns entschieden hätten. Nachdem allerdings keiner von uns wirklich hungrig war, verwiesen wir sie auf eine spätere Entscheidung, und sie ließ uns wieder allein.

„Auf mein wundervolles Leben“, sagte Elena mit einer kratzigen und verflucht traurigen Stimme, nahm einen großen Schluck von ihrem Wodka, hustete ein wenig und stellte das Glas nach wie vor zitternd auf den Tisch.

„Ganz ruhig“, sagte ich leise und nahm Elenas Hand, obwohl ich am liebsten zur Toilette gerannt wäre, um wieder einmal die Angstpisse loszuwerden, aber ich hatte keine Zeit. „Wir sind bei Ihnen, alles ist gut“, säuselte ich weiter und hätte mir nur zu gerne selbst eine reingehauen.

„Nichts ist gut“, flüsterte sie, als hätte sie Angst davor, ihre eigene Stimme zu hören. Wie konnte ich so einen Scheiß überhaupt aussprechen, ich gottverdammter Idiot? Diese wunderbare Frau neben mir war drauf und dran, ihren Mann zu verlieren. Ihre Ehe würde demnächst im Arsch sein und die Scheidung stand bevor, und ich sagte 'Alles IST gut'?? Man, was bin ich doch...

„Fuck“, keuchte Jazz plötzlich auf und ich riss meinen Kopf zu ihm. Sofort folgte ich jedoch seinem entsetzten Blick, der auf den Eingang gerichtet war, und mein Herz rutschte in die Hose. Elena zerquetschte beinahe meine Hand, die noch immer in meiner lag, begann unglaublich zu zittern und starrte mich an.

„Ich … schaff das nicht, das ist … ich … muss hier weg! Es tut mir...“, stotterte sie vollkommen aufgelöst, wischte sich mit der anderen Hand die ersten Tränen aus den Augen und wollte sich gerade erheben, doch Jazz und ich ließen das nicht zu.

„Elena, bitte...“, begann mein Bruder, legte einen Arm um sie und drückte sie sanft nach unten. „Sie dürfen nicht aufgeben. Die Sache muss jetzt ein für alle mal geklärt werden, denn diese Gelegenheit werden Sie nie wieder bekommen, glauben Sie mir“.

„Er wird Sie weiter belügen und immer wieder um den Finger wickeln, wenn Sie jetzt nicht stark sind und ihm das geben und sagen, was er verdient“, sprach ich nun weiter und drückte fest ihre Hand. „Elena, sehen Sie mich an“. Tief durchatmend hob sie den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen, ihre Lippen zitterten, und mein Herz tat weh. „Wir warten jetzt ein bisschen, bis die beiden es sich so richtig gemütlich gemacht haben. Es hilft uns nichts, sie hier neben einander sitzen zu sehen, wir brauchen eindeutige Beweise, Elena. Es tut mir so leid, aber wir müssen warten, bis Ihr Mann und unsere Mutter die ersten Zärtlichkeiten austauschen, so wie es jetzt ist, bringt es uns nichts“. Verdammt, ich fühlte mich so dermaßen beschissen, weil ich das sagen musste, doch wir hatten keine Wahl.

Elena griff nach ihrer Handtasche, zog einmal mehr an diesem Tag ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. „In Ordnung. Bitte entschuldigen Sie meine Schwäche“, sagte sie leise und senkte den Kopf.

„Bitte entschuldigen Sie sich nicht. Sie sind nicht schwach“, meldete sich Jazz wieder zu Wort. „Allein schon die Tatsache, dass Sie hier an diesem Tisch sitzen zeigt, wie stark Sie sind. Nicht jede Frau in Ihrer Situation hätte den Mut, den Tatsachen auf diese ernüchternde Art und Weise in die Augen zu sehen. Wir bewundern Sie sehr, Elena, und Sie werden dieses Restaurant heute als Siegerin verlassen, ganz bestimmt“. Yeah, das hat Brüderchen gut gemacht, denn endlich huschte ein kleines, wenn auch sehr zaghaftes Lächeln über ihr Gesicht.

Ich nahm einen großen Schluck Bier, Jazz tat es mir gleich, und dann schauten wir mal, wie die Lage stand. Mom und Paolo wurden von der Asiatin, die auch uns am Eingang empfangen hatte, soeben zu ihrem Tisch begleitet. Unsere Mutter strahlte über das ganze Gesicht und wirkte so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Sie trug eine helle Übergangsjacke, welche Paolo nun  zärtlich von ihren Schultern zog, um sie auf einen Garderobehaken zu hängen. Unter der Jacke kam eine blau-weiß gemusterte Bluse mit einem tollen Ausschnitt zum Vorschein, und ein blauer, enger Rock, der ihr fast bis an die Knöchel reichte. In ihren Ohren und an ihrem Hals funkelten – ich war mir sicher – edelste Diamanten, und ihr Haar umschmeichelte offen ihr zart geschminktes Gesicht. Mom war wirklich eine sehr schöne Frau, und ich konnte es nicht verhindern, dass ein liebevolles Lächeln meine Lippen nach oben zog.

Wie der perfekte Gentleman zog Paolo – der wieder im feinsten Zwirn steckte – Moms Sessel zurück und schob ihn wieder ein Stück nach vorn, bevor sie sich darauf nieder ließ. Dann setzte er sich ebenso und nahm sofort ihre Hände in seine, doch das reichte noch nicht.

„Sie ist sehr schön“, flüsterte Elena mit einem verflucht traurigen Seufzen hinterher und begann wieder, heftig zu zittern, als sie sah, dass die beiden bereits Händchen hielten.

„Shhh...“, beruhigte sie Jazz und streichelte über ihren Rücken. Natürlich wollten wir zu ihrem Kommentar nicht Stellung nehmen, also richteten wir unsere Blicke auf Paolo und Mom.

„Nun, schöne Frau, was willst du denn trinken? Wollen wir uns eine gute Flasche Wein bestellen?“. Fuck, wir konnten jedes einzelne Wort verstehen, und ich spürte förmlich, wie Elena verkrampfte.

„Ja, warum denn nicht?“, kicherte Mom wie ein verliebter Teenager und lächelte ihn an. „Rot, bitte“.

„Wie Sie wünschen, MyLady“, säuselte Paolo und winkte die Kellnerin zu ihrem Tisch. Diese kam sofort und nickte, als Vollarsch den Wein bestellte, dessen Namen wir nicht vernehmen konnten, doch das war auch egal.

Wenige Minuten später kam die Asiatin mit einem Tablett zurück, auf welchem sich der Wein und zwei Gläser befanden. Sie goss einen kleinen Teil der tiefroten Flüssigkeit in Paolos Glas, der roch fachmännisch daran, kostete ein wenig und schnurrte ein „Mmmmh...ausgezeichnet“. Die Kellnerin strahlte, beglückte nun beide Gläser mit dem Wein und ging wieder weg.

„Auf uns“, sagte Moms Lover mit einem breiten Lächeln in seinem Gesicht, hob sein Glas und ließ es mit einem zarten Klirren gegen ihres stoßen. Dann nahmen sie einen Schluck, stellten die Gläser wieder auf den Tisch, und verschlangen ihre Finger in einander.

„Ich freu mich so, dass Edward und Jasper nun endlich nichts mehr gegen unsere Verbindung haben und uns sogar mit diesem Essen beschenkt haben“, sagte Mom glücklich und mein Herz tat weh. Verdammt, ich fühlte mich so schlecht, und nachdem ich einen wehmütigen Blick zu Jazz geworfen hatte, wusste ich, dass es ihm gleich ging wie mir.

Elena saß total verspannt und verkrampft zwischen uns und sagte kein Wort. Immer wieder nippte sie an ihrem Glas, doch das war längst leer. Ich winkte die Kellnerin zu uns, bestellte noch einen Wodka und zwei Bier, dann wanderten unsere Blicke wieder nach rechts.

Paolo war mit seinem Stuhl nun näher an Mom gerückt, hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und beugte sich gerade zu ihr, um sie zärtlich zu küssen. Unsere Mutter erwiderte den Kuss, und Elenas Atem kam flach. Fuck, sie würde bald explodieren, und ich wartete jeden Moment darauf, dass sie hochschießen und dieses Dreckschwein auffliegen lassen würde, doch sie tat es nicht. Bald wusste ich auch, warum.

Kaum waren unsere Getränke am Tisch, nahm sie ihr Glas, stürzte den Wodka auf Ex in ihre Kehle, hustete wieder ein bisschen und stand auf. „Es ist soweit“, sagte sie eiskalt und schaute zuerst mir intensiv in die Augen und dann Jazz. „Ich hab genug gesehen, es reicht“. Jasper und ich keuchten auf, wussten, dass wir sie nun nicht mehr zurückhalten konnten und standen ebenso auf.

Steif wie ein Roboter ging sie auf Mom und Paolo zu und blieb unmittelbar neben ihnen stehen. Die beiden waren allerdings wieder dabei, sich zu küssen, also wussten sie noch nichts von ihrem Glück.

„Entschuldige bitte, Liebling, wenn ich störe...“, sagte sie ganz lässig, griff nach einem Stuhl vom Nebentisch, zog ihn neben ihren Mann und nahm einfach Platz. „...Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mich zu euch setze, oder?“ Woah, ich war so stolz auf sie.

Jazz und ich blieben noch eine Weile im Verborgenen, wollten erst dann eingreifen, wenn es nötig wäre. Also verhielten wir uns ruhig und überwachten mit Argusaugen das Geschehen.

Mom und Paolo schossen auseinander, und unsere Mutter riss die Augen auf. Entsetzt starrte sie Elena an, dann ihren Lover, wieder Elena, und dann ging es los.

„Und Sie sind?“.

„Oooh, tut mir leid, wir kennen uns ja noch nicht. Elena Rizzante. Seine Frau, quasi Mrs. Washington. Sie sind dann wohl Mrs. Seattle, wenn ich das richtig sehe“. Mom riss die Augen noch weiter auf und sackte in ihrem Stuhl zusammen.

„Scheiße“, war der edle und einzige Kommentar des perfekten Gentleman, der sich plötzlich hektisch durch sein akkurat nach hinten gekämmtes Haar fuhr und seiner Frau dermaßen wütend ins Gesicht funkelte, dass ich dachte, eingreifen zu müssen. „Was tust du hier? Ich dachte, du wärst mit deiner Foundation in New York“. Oooh fuck, wie geil. Elena hatte ihn also angelogen. Einfach perfekt.

„Ach Gott, ich bin eben auch nicht mehr die Jüngste. Hab mich da wohl mit den Städten vertan“, ätzte sie ihrem Mann mit einem bösartigen Grinsen entgegen, und ich wunderte mich immer mehr über die Kraft dieser Frau. „Ja, es stimmt, ich bin wegen der Foundation hier, aber nicht nur aus diesem Grund. Ich würde sehr gerne meine Nebenbuhlerin kennen lernen, weißt du“. Dann widmete sie sich unserer Mom, erhob sich und lächelte sie sarkastisch an. „Herzlichen Glückwunsch zu diesem Prachtexemplar von Mann. Sie können ihn haben, ich brauch ihn nicht mehr“.

„Moment mal...“, begann Mom. Offensichtlich war sie gerade aus ihrer Starre erwacht und stand langsam auf.
„Du … du … bist verheiratet?“, zischte sie so leise, dass ich mich schon aufs Lippenlesen konzentrierte.
„Du bist verheiratet und hast den Nerv, mir einen Antrag zu machen?“. O-oh, nun wurde sie lauter.
„Du lässt dich von mir verwöhnen und versorgen, während deine Frau in Washington auf dich wartet?“. Noch lauter. Fuck, die anderen Gäste des Lokales wurden bereits auf dieses üble Szenario aufmerksam, doch unsere Mutter störte das nicht.

„Esme, Schatz, bitte ….“.

„SCHATZ??“, kam es nun laut aus Elenas, wie auch Moms Mund geschossen, und die beiden starrten wütend auf Paolo nieder, der tatsächlich zusammen zuckte und in Deckung ging.

„Du verdammtes Schwein“, kam es von Elena, „Halt deinen dreckigen Mund“, zur gleichen Zeit von unserer Mutter, die plötzlich furchtbar blass wurde und ein paar Schritte nach hinten taumelte. Nun war es an der Zeit, einzugreifen. Ein kurzer Blick zwischen mir und meinem Bruder reichte, und wir liefen los.

„Edward? Jasper? Was macht ihr hier?“, sagte Mom zitternd mit Tränen in den Augen. Wir stellten uns rechts und links neben sie und schlangen unsere Arme beschützerisch um Taille und Rücken.

„Du wolltest nicht auf uns hören, es tut uns leid“, sagte Jazz, während ich mich echt beherrschen musste, um diesen Idioten nicht zu töten. Er saß noch immer vollkommen perplex und überfordert von der ganzen Situation auf seinem Stuhl und checkte nun überhaupt nichts mehr.

„Das … das … war alles geplant?“, gab er stotternd von sich und fuhr sich erneut durchs Haar.

„Natürlich, was denkst du denn? Glaubst du, ich mach mal grade eben einen Ausflug nach Seattle, um ganz zufällig im selben Lokal zu landen wie du und deine … Verlobte?“, fauchte Elena in seine Richtung und fuhr fort. „Deine beinahe-Stiefsöhne haben Kontakt zu mir aufgenommen, und es war fast ein Wink des Schicksals, dass ich gestern in Seattle sein musste, findest du nicht?“. Sie grinste. „Nun, mein Lieber, mich bist du los, mach was du willst. Du wirst demnächst von meinem Anwalt hören“, sagte Elena abschließend, wich einen Schritt zurück, verdrehte furchterregend die Augen und fiel um.

Nachdem ich näher bei ihr war, riss ich sofort meine Arme nach vorn und konnte gerade noch verhindern, dass sie hart auf dem Boden aufgeschlagen wäre, während Jazz bei unserer Mutter blieb. Fuck, aber dann war es genug.

„Na? Wie fühlt man sich so, wenn man innerhalb von wenigen Minuten das Leben zweier Frauen zerstört?“, zischte ich ihm gefährlich leise ins Gesicht, kümmerte mich dann aber sofort um Elena, die totenblass in meinen Armen hing und flatternd ihre Augen wieder öffnete. „Tut mir leid“, hauchte sie geschwächt, rappelte sich mühevoll hoch und setzte sich auf einen Stuhl. Tja, und dann kam, was unweigerlich kommen musste.

Mom wand sich aus Jaspers Umarmung, torkelte schweigend, aber mit einem tödlichen Blick auf Paolo zu, zog auf und knallte ihm eine, dass sein Kopf zur Seite zuckte und er laut aufkeuchte. „DU SCHWEIN!!“, schrie sie ihn an, während die Tränen aus ihren Augen quollen, und sie zitterte so sehr, dass ich Angst bekam. „DU MIESES, DRECKIGES SCHWEIN!!“, bähm, und wieder landete ihre flache Hand auf seiner Wange, die ohnehin schon strahlend rot durch die Gegend leuchtete.

Und dann ging alles so schnell, dass ich kaum noch reagieren konnte. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sich jemand hastig zwischen den Tischen hindurch schlängelte und unmittelbar neben unserer Mutter stehen blieb.

„Um Gottes Willen, was ist hier los??“

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